Wenn die Macht in Gefahr ist – Herrschende in Bedrängnis – was tun sie?

 

Erkenntnisse durch die Dissertation von Manfred Kliem1, bestätigt durch weitere Quellen

aus der Zeit der Revolution 1848

und selbst ähnlich 1989/90 Miterlebtes und in unseren Tagen in Nachrichten Berichtetes

- Jeder, der davon weiß, wird selbst weiteres hinzufügen -

 

1. Es müssen in Sicherheit gebracht werden:

 

1.1.: Das Geld

 
 

1848:

- Beschluss zum Wegschaffen des Staatsschatzes nach Potsdam am Morgen des 19.3.
 (M. Kliem S. 240, 254ff)
- Entfernung des Kronschatzes,( ebd. S. 248, S. 250ff)

- Kronjuwelen, Privatschmuck der Königin, wichtige Papiere und Teile des Staatsschatzes wurden über Hamburg nach Hull England gebracht, das übrige verblieb in Potsdam( ebd., S. 257, S. 357)

 

Im Nachlass von G.W. Raumer im Preußischen Staatsarchiv (StA PK, BPH, Rep. 192, NL Raumer, G.W., Nr. 28 findet man die Zusammenstellung, der von ihm nach Potsdam am 21. März 1848 Gelder aus der Berliner Schloß

 

 

 

Hier noch einmal deutlicher die Gesamtsumme: 4 700 000 Taler!

 

 

Ludwig von Massow brachte den Schmuck der Königin am 25. März 1848 nach Potsdam
(StA PK HA, NL Massow, Nr. 13):

 

 

 

Die Liste enthält 89 Positionen

 

 

Unterschrieben haben die Liste die Kammerfrau Thérese Clauic und die Garderobenfrau der Königin Caroline Conrad mit folgender Anweisung: "Die Gold-Gegenstände können nur nachdem in unseren Händen befindlichen Inventario revidiert werden. u. bitten wir daher nur die Kasten in unserer Gegenwart geöffnet werden."

- Varnhagen schrieb schon am 18./19. März in sein Tagebuch: „Viele Kostbarkeiten wurden auf Kähne gebracht, die zum Teil in der Nacht abfuhren.“(Varnhagen, Tagebücher 1848; S. 314)

 

- Brief Friedrich Wilhelm IV. vom 14. Mai 1848 an Ludolf Camphausen : Der Staatsschatz und die Gewehre seien aus dem Zeughaus herauszuholen entsprechend seiner Instruktionen vom Gründonnerstag, falls die Bürgerwehr nicht Herr der Lage sei.

(König Friedrich Wilhelms IV. Briefwechsel mit Ludolf Camphausen, hrsg. v. Erich Brandenburg, Berlin 1906, S. 81)

1.2. Die wichtigsten Personen


  
   

1848:: Beschluss zur Evakuierung der königlichen Familie und Verlagerung von Behörden aus der Stadt ( M. Kliem S. 240)
- 4 Fluchtversuche des Königs zwischen dem 19. und 22. März; (ebd., S. 258, 264-266, 267, 277, :283, s. auch A. Wolff, Bd. 1, S. 200f)
-Varnhagen in seinem Tagebuch vom 18./19. März „Zehnmal wollten König und Königin fliehen, die Wagen standen bereit,... immer kehrten sie wieder um, Verzweiflung, Händeringen, Weinen, Flehen.“ (Varnhagen, Tagebücher 1848; S. 314)



- zur Flucht des Prinzen von Preußen, (ebd. S. 266, 298ff)
- s. auch A. Wolff, Revolutionschronik, Bd. 1, 1851 S. 340f – Flucht  Wilhelms über den Acker ins Pfarrhaus in Quitzow bei Perleberg,

 

- Pläne v. Gerlach und Bismarck vom 22. März den König u. s. Familie mit militär. Gewalt aus Berlin herauszuholen, vgl. S. 334ff (s. Kliem - S. 316):

Flucht von Ängstlichen / von politisch Aktiven, die deswegen um ihr Leben fürchteten:
- zu Graf v. Pfeil- Burghaus suchte einen Zufluchtsort für seine Familie in Schweden (M. Kliem S. 226)
- zu den Emigranten der Berliner Revolution, so die Professoren J. Stahl, Huber, Gelzer, ebenso auch das „ganz stille Verschwinden“ der ehemaligen Minister aus Berlin (A. Wolff Bd. 1, 1851 S. 341f)

E.W. Hengstenberg war vorsichtshalber aus Berlin nach Gramzow in die Uckermark gefahren. A. 27. März 1848 schrieb Ludwig von Gerlach aus Magdeburg: „Sie sollten in Berlin sein. Auch Stahl ist wieder dort. Ihre Abwesenheit macht alles gemeinsame Handeln schwer. Kehren Sie sobald als möglich zurück.“ (Brief von Ludwig von Gerlach an E.W. Hengstenberg, Nachlass Hengstenberg in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin, Nr. 159)

 

1.3.: Wichtige Akten, die, wenn sie in die „falschen“ Hände fallen würden, einem schaden könnten, sind wegzuschaffen, werden zu Hause aufbewahrt, zumindest eine Kopie oder werden vernichte

  
    

1848:
:- systematische Vernichtung und Sekretierung von (möglicherweise) belastendem Material,(Deshalb sind für die Forschung  am geeignetsten die Militärakten, da man für brauchbare militär. Schlussfolgerungen an den Fakten interessiert war, auch diese Fachliteratur nicht für ein großes Publikum gedacht war. (M. Kliem S. 4, 24)
- Beschluss zum Wegschaffen der wichtigsten Akten am Morgen des 19.. März (ebd., S. 240)
- zum Abtransport von Staatspapieren und Familiendokumenten aus dem Schloss (s. ebd., S. 253f)

Alle Akten, so die zum Wedeke-Skandal, soweit sie aus Nachlässen aus dieser Zeit stammen sind dafür ein Beispiel. Sie sind oft erst nach Jahrzehnten in ein der Öffentlichkeit zugängliches Archiv gegeben worden.


Zur Sicherheit schreibt man anonyme Artikel, so dass einem daraus keine Nachteile erwachsen können: Am 29. Juni schreibt Ludwig von Gerlach aus Magdeburg an E.W. Hengstenberg und schickt ihm einen Artikel für die Evangelische Kirchenzeitung von „Goeschel, jetzt in Neustrelitz““...“aber mit Ausstreichung seines Namens“. Das „mit“ hatte er doppelt unterstrichen! Er berichtet in dem Brief von der Versammlung in Gnadau vom Tag vorher und den dort beschlossenen Protesten und Eingaben und nennt, wer sie verfasst hat. „das übrige von mir.“ Eingeweihte wussten also von wem was stammte, aber nicht die Öffentlichkeit und der jeweilige Empfänger. (Brief von Ludwig von Gerlach an E.W. Hengstenberg, Nachlass Hengstenberg in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin, Nr. 162)

 

1.4.:Waffen

   
    

1848: :
- Beschluss zum Wegschaffen der Waffen aus dem Zeughaus (M. Kliem S. 240)

-  über Abtransport von Waffen aus dem Zeughaus, der von Bürgern am 30. Mai entdeckt wurden ( A. Wolff, Bd.3, S. 95 ff)

  

2. Es gilt zu verstehen, was passiert ist, und zu erkennen, was sich daraus entwickeln könnte

2.1. Es kommt zu einem Ideologiewechsel: Man ist bereit, bisherige Positionen aufzugeben und sogar das für richtig zu halten, was man bis dahin strikt abgelehnt hat, wenn es nützlich für die eigene Person zu sein scheint. 1989/90 ff nannten wir solche Leute „Wendehälse“ und so werden diese Jahre auch als „Wende“ bezeichnet.

 
    

1848: Dies wird durch den Enthusiasmus und die nicht feindliche Gesinnung der neuen Mächtigen gegenüber den alten Machthabern gefördert, ist umgekehrt aber auch eine Gefahr für die Neuen. M. Kliem, S. 71 spricht von deren nicht angebrachter Toleranz und mangelnder Wachsamkeit.

 

Umritt des Königs am 21. März mit den deutschen Farben durch Berlin (M. Kliem S. 358)

Aber dieser Wechsel ist auch eine Gefahr, weil man bisherige Bundesgenosse und Freunde dadurch vor den Kopf stoßen kann:

1848; M. Kliem zur Königsrede in Potsdam am 25.März 1848, S. 345ff, s. S. 349-353

Die Auswertung der Predigten des Berliner Pfarrers Friedrich Wilhelm Krummachers zeigt, wie instabil weltanschauliche Überzeugungen 1848/49 waren.(K. Dang, Soz. Kampf, 4.3.4.4. Die Revolution 1848/49 (Original) S. 279)

 

Dies gilt auch für die Einschätzung von Personen, so sagte Tholuck in seiner Rede am Schluss der Konferenz evangelischer Kirchenführer vom 2. und 3. Mai 1848 in Gnadau laut einer der Zeitung „Neueste Nachrichten aus dem Reiche Gottes: „So haben wir bisher unwillkürlich uns gestützt auf einen Fürsten, wie ihn Jahrhunderte nur einmal zu bringen pflegen, einen Fürsten, der in solcher Zeit ein solches Bekenntnis abgelegt, ein solcher Pfleger der Kirche geworden sei. Nun habe der Herr uns diese Stütze genommen, damit wir es erfahren, dass Fürsten auch Menschen seinen, die nicht helfen können, und wir unsere Hoffnung allein setzen auf unseren Herrn, unseren Gott.“ (Neuste Nachrichten aus dem Reiche Gottes, 32. Jahrg. 1848, Juni-Ausgabe, S. 302)

Hier wird der Unterschied zwischen Glauben, dem Vertrauen zu Gott, und dem auswechselbaren Verhältnis und Verständnis von Menschen deutlich, die man glorifiziert, solange sie den eigenen Interessen entsprechend handeln und kritisiert, wenn sie das nicht mehr tun.


Wenn dieses Verhalten dann doch nicht die erhoffte Wirkung hat und die eigene Position stärkt, kommt es zu Enttäuschung und unter Umständen auch wieder zur Rückkehr zu bisherigen Ideologie, besonders auch wenn sich die Machtverhältnisse wieder verändern.

- (M. Kliem S. 284: Fr. Wilhelm IV. am 28. März zu seiner Rede am 21. März)

2.2. Man taktiert und wechselt zwischen den Ideologien/ Weltanschauungen,
je nachdem, wie es gerade vor dem Angeredeten sinnvoll erscheint, das Vertrauen zur eigenen Person zu erhalten.
  1848: 

In einer Proklamation Friedrich Wilhelm IV. vom 11. November 1848, veröffentlicht im „Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Potsdam und der Stadt Berlin“ redet der König ganz anders, als in seinem Brief an seine Schwester die Zarin vom 25. Oktober (s. unten 4.1.). Von seiner Forderung, König von Gottes Gnaden zu sein, spricht er nicht, dafür gab er „die unverbrüchliche Versicherung“, nichts solle verkümmert werden an „Euren konstitutionellen Freiheiten“... „mein heiligstes Bestreben, Euch mit Gottes Hilfe ein guter konstitutioneller König zu sein, auf dass wir gemeinsam ein stattliches und haltbares Gebäude errichten, unter dessen Dache zum Frommen Unseres Preußischen und ganzen Deutschen Vaterlandes, Unserer Nachkommen sich ruhig und einträchtig der Segnungen einer echten, wahren Freiheit Jahrhunderte lang erfreuen mögen! Dazu wolle Gott seinen Segen verleihen!" ( Amts-Blatt der Königlichen Regierung zu Potsdam und der Stadt Berlin, Jahrgang 1848, S. 363f)

1989/90:  Als wir Anfang der 90er Jahre mal darüber sprachen, sagte mir eine Frau: „Mein Vater ist keine Wendehals, der ist ein Korkenzieher.“-

2.3. Dieser Ideologiewechsel fällt natürlich auf, und führt zu gegenseitigen Anklagen und harten Auseinandersetzungen innerhalb der Gruppen der bisherigen Gleichgesinnten

 

1848 hält Pastor Eltester in der Zeitschrift für die unierte evangelische Kirche vom 11./12. Juli 1848 seinen Amtskollegen vor: „Währet ihr alle rechte Männer gewesen, nichts als die Wahrheit zu wollen, hättet ihr als mannhaft für Wahrheit, Recht und Freiheit gestritten und gelitten, hätten nicht so viele von euch Ämtchen und Käppchen vorgezogen, da hätte es nicht fehlen können, es hätte sich Recht aus Recht entwickelt, während jetzt die wüste Gewalt durchgegriffen hat, die ihr darum fröhlich begrüßt, weil ihr fühlt, wie wenig die Wahrheit in euch Macht hat, und euch einbildet, sie werde euer Handeln ersetzen und euch das Leiden ersparen." (Zeitschrift für die unierte evangelische Kirche, Hrsg. Von Eltester, Jonas, Krause, Pischon Sydow, Potsdam, 3. Jahrgang 1848, Bd. 6, S. 24


An der Beerdigung der Märzgefallenen am 21. März 1848 im Friedrichshain hatten neben den katholischen Geistlichen und den Rabbinern fast alle evangelischen Pastoren Berlins teilgenommen. Dies wird schon in einem Artikel vom 5. April in einem offenen Brief von 2 Pfarrern aus der Provinz und dann später in weiteren Artikeln in der Evangelischen Kirchenzeitung, dem Organ der „Ultrarechten“ , dessen Herausgeber Hengstenberg sich in Gramzow in der Uckermark in Sicherheit gebracht hatte, kritisiert. Die Berliner Geistlichen äußerten sich nicht dazu. Erst im Juni 1849 kam kam es im Anschluss einer Pastoralkonferenz zu einer Aussprache mit den Kritikern. (s. dazu K. Dang, Sozialer Kampf, Kap. 2.3.2.9.6. Die Teilhabe der Berliner Geistlicheit an der Beerdigung der Märzgefallenen (Original), S. 135- 139)

3. Irrationales hat Hochkonjuktur

 

3.1. Mythen entstehen und werden verbreitet, da man muss sich einen Reim auf das machen muss, was man erlebt hat, aber die Zusammenhänge nicht überblickt.

 

1848: Mythos der Gegenrevolution: preuß. Bauern hätten sich schützend vor Hohenzollern gestellt, (so Wilhelm von Riehl1 1851, s. M. Kliem S. 319)

 

Dem hilft, dass in späteren Biographien und Schilderungen der Revolutionszeit man sich angesichts der wieder gefestigten Stellung des Königs und der Monarchie versucht, die eigenen Gedanken und kritischen bzw. die Revolution preisenden Worten z.B. in Briefen, Predigten, Artikeln, Reden durch Schilderung gegenteiliger Standpunkte vergessen zu lassen und unsichtbar zu machen, sich selbst also gegenüber möglicher Kritik reinzuwaschen.


3.1. „Schuldige“ müssen als Sündenböcke gefunden werden – sie gelten als die wahren Feinde und entlasten damit die Täter

    

1848: Die Fremden
Bd. 1, 1851- zur Erklärung des Königs , verfasst in der Nacht der Barrikadenkämpfe vom 18. zum 19. März 1848 „An meine lieben Berliner“ „Fremde“ hätten im Sinne „ihrer argen Pläne“ das Blutvergießen herbeigeführt - A. Wolff Bd. 1, 1851, S. 143 zitiert dazu Bruno Bauer: Die bürgerliche Revolution in Deutschland, Berlin 1849: „ 'Ja, es waren Fremde, denn das absolutistische Königtum und das Bürgertum waren sich fremd geworden...'“( Ebd. , vgl. S. 193, S. 143)

Auch zitiert A. Wolff ironisch Graf Lüttichau zitiert, der der in seinen „Erinnerungen“ über die Barrikadenkämpfer schrieb: „'dass unter den 186 Barrikaden-Leichen allein 68 Züchtlinge sich befanden und rechnet man zu diesen noch 36 Unbekannte, die, wie gleich damals bemerkt wurde, auf der Morgue in Paris nur allein hätten erkannt werden können; zählt man ferner noch die zufällig Verunglückten hinzu, so bleiben einige Gesellen und Arbeiter der verschiedenen Gewerke Berlins übrig, in Verbindung mit den französischen und polnischen Emissairs unter Beihilfe der allvermögenden Berliner Straßenjungen,...“  A. Wolff, Bd.1,. S. 176, siehe auch 175)


A. Wolff weist in seinem 1. Band der Revolutionschronik von 1851 auf die Schrift von Geschichtsprofessor Heinrich Leo in seiner, anonym erschienen Schrift von 1849 „Signatura temporis“ hin, der das Schreckgespenst „des alten Polen“ als Verursacher der Unruhen male , dazu ein „Auswurf der verschiedensten mitteleuropäischen Länder, Franzosen, Italiener und namentlich auch ein verworfener Haufe aus andern deutschen Ländern.“ (A. Wolff, Bd. 1, S. 98)


Ebd. S. 347 zitiert A. Wolff aus einem Artikel „Schmach den Verleumdern“ : Niederträchtige bemühten sich den Ruhm der Berliner zu schmälern, indem sie „aussprengen, dass französische, oder schweizerische oder polnische – (warum nicht gar russische – Freiheitsemmissäre die ganze Revolution fix und fertig gemacht“ hätten.


A. Wolff, Bd. 3 1854, S. 225 berichtet von einer Antwort des Polizeipräsidenten v. Minutuli auf deine Anfrage des Konstitutionellen Clubs am 3. Juni: Er antwortet ausweichend und er könne zu einzelnen Personen nichts sagen. Gegen Vorwürfe äußert er sich später in einer gedruckten Schrift. „man hat mir zum Vorwurf gemacht, dass man Tausende von französischen und polnischen Emissären in Berlin geduldet, und solche nicht vor dem 18. März ausgewiesen hätte, da durch diese allein der längst und vollständig vorbereitete Barrikadenkampf geleitet worden wäre. Hierauf bemerke ich, dass allerdings Fremde und namentlich Polen damals in Berlin sich aufhielten. Die Fremdenkontrolle in den Gasthöfen wurde mit Strenge gehandhabt. Revolutionsmacher wohnen aber nicht in Gasthöfen, sondern in Kneipen, bei Studenten, Hadnlungs-Komites und liederlichen Dirnen, und polizeiliche oder außeramtliche Meldungen über dergleichen habe ich nicht erhalten... Mit den, wegen des Polen-Prozesses anwesenden Polen sollte in Folge hoher Verwendung mit großer Schonung verfahren werden.“ (A. Wolff, Bd. 3 v. 1854; S. 415f)


M. Kliem, S. 40, Anm. 40 zitiert den General Richard von Meyerringk: Polen, Juden und Franzosen

 

Leopold von Gerlach zu den Barrikadenkämpfen am 18. März, die zweite Schicht der Menschen, die nach dem Jubel der ersteren auf dem Schlossplatz waren „bestand aber der Hauptsache nach aus Fremden, Polen, Franzosen und einem Haufen teils irregeleiteter, teils böswilliger Menschen." (Denkwürdigkeiten aus dem Leben Leopold von Gerlachs...Bd. 1, S. 135)

Von der Gegenseite/ den Demokraten : Schuld ist der Prinz von Preußen, der Kartätschenprinz, dazu M. Kliem S. 355: Er hatte seit dem 9.3. keine Befehlsgewalt ausgeübt. (M. Kliem S. 266)



Friedrich Wilhelm IV. am 19.03.1849 an seine Schwester Charlotte, die Zarin: „Gestern“ sei in Berlin allerhand versucht worden. Die Oberhalunken hätten Angst bekommen und den Aufruhr abbestellt. Die Unterhalunken seien eifrig bemüht, dass es zu etwas Ernstem komme. „Die Hauptunterhalunken sind Polen. Liebe Jungens! Gestern Nachmittag sind angeblich an 40.000 Mann zu den Rebellengräbern geströmt, heimlich bewaffnet.“ Die Tore waren aber geschlossen. Es habe etwas Keile gesetzt, aber Ernstes sei nicht geschehen." (Karl Haenchen, Revolutionsbriefe 1848, S. 400f)

   

3.2. Doch nicht nur Feindbilder werden in Umlauf gebracht, sondern auf der Seite der Gegner werden gerade diese Feinde als Verbündete gefeiert und geehrt und ihnen in ihrem jeweiligen Kampf in ihrer Heimat die eigene Solidarität versichert

    

1848 war dies die Befreiung der in verurteilten und inhaftierten Polen, die in einem Festzug durch Berlin geführt wurden, an der Spitze der zum Tode verurteilte L. Mieroslawski, sondern auch „Adressen“ der Klubs, so auch des konstitutionellen und des politischen Clubs an die Polen im Grußherzogtum Posen bzw. „Polnischen Brüder“.(A. Wolff, Bd. 2, S.56ff)

 

Dies konnte aber von den so angesprochenen Brüder auch Hoffnung auf militärische Unterstützung wecken, so verbreitet von einem Herrn A. Cybulsky als Bevollmächtigtem des Posener National-Komitees, der in einem durch Plakate verbreiteten „Aufruf an das Volk von Berlin“ so den Feind beschrieb: „Deutsche und Polen – wir haben nur Einen Feind unseres Strebens, den Einen Erzfeind aller Freiheit: die asiatische Willkürherrschaft. Lasst uns dieselbe gemeinschaftlich bekämpfen! Es ist der letzte heilige Kampf, den wir auszufechten haben!.Gestattet nicht, dass man uns aus freien Männern zu Knechten des Despoten, zu Würgern Deiner Freiheit unter der blutigen Zarenfahne macht! - Wir fordern gegenwärtig nichts anderes, als uns gegen den selben waffnen zu dürfen.“ (A. Wolff, Bd. 2 v. 1859, S. 59)

 

Aber nicht nur Polen rechneten mit dem Eingreifen des Zaren. Schon am 28. März hatte die Voßische Zeitung über einen möglichen Krieg mit Russland als derzeitiger Tagesfrage spekuliert. Und die Kraft und Stärke des „Gegners“ durch Berechnungen über den Bestand der russischen Armee angestellt. ( A. Wolff, Bd. 2 v. 1859, S. 17)

3.3. Nicht nur Feinde, sondern auch Helden werden sofort ausgemacht und geehrt.
Wer sich ihrer Anerkennung verweigert, hat schlechte Karten.
   

1848: Die Beerdigung der Märzgefallenen. Ist dafür ein Beleg.

A. Wolff weist 1851 in seiner Revolutionschronik Band 1 darauf hin, dass den Barrikadenkämpfern bestens ausgebildete Truppen in einer Stärke von 15.000 Mann und mit z.T. Kriegserfahrenen Führern gegenüberstanden, während sie selbst ein bunt zusammengewürfelter Haufen waren. Er schreibt Ihr „... Mut, Tapferkeit Ausdauer – Eigenschaften, welche in den unzähligen Berichten der Zeitungen aus jener Periode mit überschwänglichen Lobeserhebungen erwähnt werden... selbst von der Vossischen Zeitung, mit nicht geringen Übertreibungen anerkannt wurden“... „auch der 'Edelsinn', die 'Maßigung', die 'Heilighaltung des Eigentums', endlich die 'Humanität' mit welcher der militärische Feind behandelt wurde“.rief „eine Begeisterung der Berichterstatter jener Tage hervor, die nicht Worte genug zur Verherrlichung der 'Barrikadenhelden' finden konnten. ( A. Wolff, Bd. 1, S. 173)

Er selbst weist darauf hin, dass gleichzeitig veröffentlichte Berichte „eine ungeheure Anzahl militärischer Handlungen verzeichnet, deren Brutalität den Abscheu der Darsteller in demselben Grade hervorrief, in welchem sie durch die Handlungsweise der Bürger sich begeistert fühlten.“ Im folgenden berichtet er dann, dass nur 75 der Bürgerlichen auf den Barrikaden gefallen wären, die übrigen von den Soldaten in den Häusern wahllos niedergemetzelt wurden, darunter Frauen und Kinder bzw. auf de Transport als Gefangene misshandelt wurden. Von 50 Gefangenen, die alle unverwundet waren, wäre nur die Hälfte lebend in den Schlosskeller gebracht worden. (Ebd. S. 174)

 

Am 4. Juni 1848, einem Sonntag, wurde ein Gedenkzug zu den Gräbern der Barrikadenkämpfer im Friedrichshain organisiert, mit dem Ziel „ ...durch eine feierliche Kundgebung jener Verleumdung entgegenzutreten und heilig zu sprechen, was die Undankbarkeit schmäht.“, so ein Komitee der Studentenschaft auf Eckanschlägen. (

A. Wolff, Bd. 3 v. 1854, S. 120 bis S.136)

  

3.4. Man versucht wachsam gegenüber neuen Gefahren zu sein:
Gerüchte, selbst die seltsamsten, werden geglaubt und bewegen Menschen zum Handeln

 
 

Gerüchte vom Tod vieler Soldaten und Offiziere am 18. März (M. Kliem S. 232)
Gerüchte vom Nachlassen der Kampfbereitschaft der Truppen u, Überlaufen ganzer Truppenteil – im Schloss in der Nacht zum 19.3. (ebd., S. 233)

- von Gerlach ließ die Legende im Offizierskorps „ausstreuen“ v. Prittwitz habe den Abzug der Truppen aus Berlin verschuldet, dagegen hat sich dieser mit seinen Schriften zu wehren versucht (ebd., S. 317)

 

Zum Mythos der Verschwörung – s. R. Hachtmann S. 191: „Gerüchte beeinflussen das Verhalten des 'Volkes' und ebenso das der Obrigkeit.“ Er erklärt dies im folgenden auf S. 200:

Revolutionen sind Krisen... man lebt mit dem Gefühl alles sei möglich, die Ereignisse und Entwicklungen überstürzen sich; Gerüchte sind einfache Erklärungsmuster , vorher fehlende oder beschnittene Meinungsfreiheit ist eine wesentliche Bedingung für die Wirkmächtigkeit von Gerüchten

 

 

Ein Gerücht, preußische und russische Truppen wurde Anfang Juni geglaubt, das Dementi des Berliner Polizeipräsidenten dagegen nicht – es gehört zur Vorgeschichte des Berliner Zeughaussturm am 14. und 16. Juni 1848 (R. Hachtmann: Gerüchte, S. 190f)

 

A. Wolff, Bd. 3, 1854, S. 470 zur „Russenfurcht in der Zeit des 20.-26. Juni“: „'Russische Heere stehen vor unserer ungeschützten Grenze!' rief der Graf Reichenbach in der Sitzung der Nationalversammlung vom 20. Juni aus.... und dieser Aufruf war das Echo von Gerüchten und Zeitungsnachrichten, welche seit 14 Tagen ein viel behandeltes Thema in der Reihe der Tagesfragen waren.“ Er hatte als schlesischer Abgeordneter zahlreiche Schreiben von der russischen Grenze erhalten, die ihn über bedeutende russische Heermassen informierten, die dort zusammengezogen wurden.

3.2. Mögliche Gerüchte werden als Gefahr erkannt. Die Frage ist, wem wird in dieser Situation geglaubt. Lügner und Manipulatoren haben Vorteile.

  Für aufwendige Suche nach der Wahrheit bleibt keine Zeit – s. den Wedeke-Skandal

3.6: Man setzt Agenten/Spione ein, um sich ein Bild von den neu entstehenden politischen Vereinigungen zu machen und sie zu beeinflussen

 

Sylvia Palatschek1 hat dies von Lucie Lenz2beschrieben, die unter im demokratischen Klub Berlins Reden hielt und aktiv war und in dieser Rolle auch von A. Wolff (Bd. 3, S. 125) erwähnt sie benfalls, allerdings ahnt er von ihrer entsprechenden Tätigkeit nichts. Doch erzählt er über eine Versammlung, zur Vorbereitung einer geplanten Demonstration am Gründonnerstag 1848: „Eine Person aus der Versammlung wurde – vielleicht war's ein 'Mißverständnis' als Spion bezeichnet und hierauf friedlich- großmütig entlassen.“ (Bd. 2, S. 236)

4. Es existiert die Bereitschaft zu vernichten

4.1. den Feind

 

Militär wird eingesetzt am 18./19. März und noch oft im Jahr 1848/49

Auch Freunde und Gesinnungsgenossen werden schnell zu Gegnern, was vor allem den Arbeitsplatzverlust bedeuten kann. Entweder man geht selbst oder wird gegangen:
Ludwig von Gerlach schrieb am 17.03.1848 an E.W. Hengstenberg, dass der Kirchenjurist Carl Friedrich Göschel ein Abschiedsgesuch eingereicht habe. „Ich arbeite jetzt, ihn davon zurückzubringen. Das kann ich aber nur, wenn ich für ihn und mich, den Standpunkt dieses Artikels vindiciere. Leopolds Standpunkt treibt ihn definitiv aus dem Amte. (Brief von Ludwig von Gerlach an E.W. Hengstenberg, Nachlass Hengstenberg in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin, Nr. 158)

4.2. Das eigene Volk/ die einem anvertrauten Menschen,
da sie sich von den Feinden haben vereinnahmen/ beeinflussen lassen

   
    

- In seinem Brief aus Wien rät Radowitzr Berllin zu räumen (s. M. Kliem, S. 235f)
- Der Plan von Prittwitz: Einschließung der Stadt = Zernierungsplan, Aushungern der Bevölkerung ( ebd. S. 238, S. 296f)

 

Friedrich Wilhelm IV. an seine Schwester, die Zarin von Russland am 22. Juni 1848: „Gegen die 1. Rebellion von Berlin oder vom Landtag schreite ich mit Waffen ein. Sollten sie nicht glücklich sein, so hoff' ich auf den Kaiser.“/ den Zaren!(ebd., S. 114)

Denkschrift des Königs Friedrich Wilhelm IV. vom 15.09.1848, : Falls sich die Preußische Nationalversammlung für permanent erklären sollte, wolle er 30.000 Mann um Berlin konzentrieren. „Die Benutzung des Sieges, er sei ein friedlicher (was Gott geben wolle!) oder ein blutiger.., ist die Hauptsache, die erste Pflicht des Königs und seiner Regierung.“ (Karl Haenchen, Revolutionsbriefe 1848, S. 177)

Am 25. Oktober 1848 schrieb er seiner Schwester Charlotte, der Zarin von Russland u.a.: „Ich gedachte meiner heiligen Pflichten... Ich handelte! Es wurden über 30.000 Mann um Berlin vereinigt und ich forderte vom Ministerium die Dinge, die Du aus meinen Briefen an den Kaiser kennst. Es versagte zu gehorchen.“ (Karl Haenchen, Revolutionsbriefe 1848, S. 209f)

   

4.3. Geheimverhandlungen und Hoffnung auf militärische Hilfe

 

1848 durch den Zaren
Siehe dazu Briefe Friedrich Wilhelms IV. an seine Schwester Charlotte, als Zarin Alexandra Feodorowna, , bzw. über seine Schwester mit dem Zaren. (Karl Haenchen, Revolutionsbriefe 1848, Brief vom 21.4., 22.6., 13./15./., 1.9., 25.10.1848 und 19.3.39)

 

Brief Friedrich Wilhelm IV. an seine Schwester Charlotte, die Zarin vom 22. Juni 1848: er rechnet im Falle eines Aufstandes in Berlin auf Hilfe des Zaren, falls die eigenen Kräfte nicht reichen (s.ebd.,  S. 425)


Zeitungsmeldungen über russ. Militär machten preuß. Offizieren Mut (M. Kliem S. 382)

   

4.4. Akten und weitere Schriftstücke wie Briefe und Nachrichten aus dieser brisanten Zeit
werden entweder sogleich nach Erhalt verbrannt oder in angeordneten größeren Aktionen

   

M. Kliem in seinem Vorwort zu dem Fakt der Vernichtung von Achten und Briefen S. 6-9


Ludwig von Gerlach schrieb seinem Bruder Leopold am 23. März 188848: „Es ist wohl jetzt gut, Briefe wie diesen zu verbrennen." K. Dang, Sozialer Kampf, Exkurs II, Gerlach-Archiv Erlangen. Beilagen Bd. 18, S. 3)

Freiherr Senft von Pilsach an den König: „In der Sorge, dass meinem Königlichen Herrn aus Allerhöchstdessen freimütigen Äußerungen gegen mich Nachteile erwachsen könnten, habe ich in dem Jahr von 1848 viele Briefe S. M. verbrannt, und dementsprechend ist auch obgedachtes Handschreiben verstümmelt worden." (Karl Haenchen, Revolutionsbriefe 1848, S. 116, Freiherr Senft von Pilsach auf Gramenz (1795 – 1882), Vertrauter des Königs)

Im Blick auf Briefe des Königs Friedrich Wilhelm IV. an seinen Schwager, den Zaren , vermutet der Herausgeber seiner Revolutionsbriefe Karl Haenchen, dass er sie absichtlich aus seiner Korrespondenz herausgenommen habe. (Karl Haenchen, Revolutionsbriefe 1848, S. 6)

5. Es geht darum Zeit zu gewinnen,
denn die Zeit rennt. Sie ist wahnsinnig schnell geworden.

5.1.: Was früher in Jahren nicht geschehen ist, das jetzt in Stunden und Tagen

 

1848: A. Wolff Bd. 1, 1851, S. 113 über den 18. März 1848: die „gerade erfolgte Einberufung des Landtags war veraltet „während auf der anderen Seite die mit Sturmes Eile dahin laufenden Ereignisse des Tages – in jeden Tag drängten sich Wochen und Monate zusammen - zur Eile mahnten.“
Er zitiert Wittgenstein gegenüber dem König am 18. März 1848 vormittags: „ 'dass von dem Entschlusse dieser Stunde vielleicht das Heil Deutschlands abhängig und eine einzige Stunde in diesem Augenblick wichtiger sei, als sonst ein ganzes Jahr.'“ (ebd: S. 123)

A. Wolff zitiert „ein Blatt“ vom 21. März : „Von Minute zu Minute , kann man sagen, drängt sich ein bedeutungsvolles Ereignis auf das andere, so dass eins das kurz vorhergegangene bald vergessen macht. Alles ist jetzt hier bewundernswert und, wenn man offen gesteht, nur noch ein Nebelbild, dessen Verwirklichung eine ruhigere Zeit, als die gegenwärtige es ist, bedarf...'“ (ebd. Bd. 1, S. 345 zum 20. - 22. März)

Eine geheime Note Friedrich Wilhelms vom 8. April an den dänischen König Friedrich VII. durch Major v. Wildenbach überbracht: Es sei mit dem Einsatz der preußischen Truppen gegen Dänemark nicht ernst, es gelte nur Zeit zu gewinnen und „Zeit gewonnen, alles gewonnen.“ ( M. Kliem, S. 415)

1989/90: „Das Wort veraltet einem im Munde“- dieses Zitat, das heute im Internet Peter Gauweiler (https://gutezitate.com/zitat/148471) zugeschrieben wird, ist mir aus der Wendezeit 1989/90 bekannt.

Man benötigt plötzlich viel Zeit, um sich in den Medien zu informieren, um mit der „Zeit“ Schritt zu halten.
Die Zeit war in aller Munde. Man redet viel mit einander, um noch hinterher zu kommen, weil so viel passierte. Und es passierte so viel, weil auf einmal so viele Menschen begonnen haben, selbst zu denken und es mutig auszusprechen. Altes funktionierte nicht mehr. Neues musste gedacht, organisiert und getan werden. Das machte Spaß, stiftet Gemeinschaft. Viele glaubtne, nun eine bessere Welt aufbauen und organisieren zu können.

Man war solidarisch mit anderen, denen es ebenso ging, tauscht sich aus, besucht sich auch über Ländergrenzen und bisherige soziale Schranken hinweg.

5.2. Die Bereitschaft, mit der Zeit zu gehen

 

1848:. Hr. v. Canitz, im Vormärz Minister des Auswärtigen zu den Konzessionen, die das Ministerium vorbereitet hatte, wegen der Revolution in Paris und in deutschen Ländern aber zurückgehalten hatte, weil man auf die aufgeregten Wogen nicht Reizmittel werfen wollte, hatte sie nun aber wieder aufgenommen, „weil man glaubte, es werde am Vorabend der Revolution durch Konzessionen gelingen, der Revolution zuvor und so formal um sie und um die unheilsschwangeren Folgen einer eigentlichen Umwälzung herum zu kommen.“ Wolff wendete ein, dass man nicht bedachte, dass neue Minister sie umzusetzen hätten, bei ihrem Amtsantritt aber selbst etwas eigenes Neues vorweisen müssten und darum über die gemachten Konzessionen notwendigerweise noch hinaus gehen müssten. Dadurch aber würde die revolutionäre Bewegung nicht gezügelt, sondern noch mehr angeheizt werden. (A. Wolff, Bd. 1 1851, S. 113f)

5.3. Weil so unheimlich viel mehr als in normalen Zeiten geschah, braucht man später viel Zeit, um festzuhalten und zu analysieren, was eigentlich und warum in diesen Tagen passierte.

 

Darum gibt es so viele Bücher und Beiträge über jene Tage, schon damals und bis heute.

6.. Es gilt den praktikablen Weg zu finden, die Herrschaft und Macht wieder zu sichern
Darum wird äußerst hart diskutiert und gerungen.

6.1. Es kommt zu einem Machtkampf im Innern der Macht, um die Personen, die als Herrschende oder Mitarbeitende in ihren jeweiligen Positionen noch tragbar sind oder fallen gelassen werden „müssen“. Ein Schuldiger, ein „Sündenbock“ muss gefunden und der Öffentlichkeit im Rahmen eines inneren Reinigungsprozesses der Regierenden präsentiert werden. Das führt evtl. zum Verlust von Bündnispartnern.

 

   

Denkschrift des Königs Friedrich Wilhelm IV. vom 15.09.1848,: „Sobald uns Gott den Sieg im eigenen Hause gegeben haben wird, erlasse ich meine Ansprache 'an mein Volk' und die werd ich selber schreiben.“(Karl Haenchen, Revolutionsbriefe 1848, S. 178)

Die Anwesenheit des Hofpredigers F. Strauß beim König am 19. März 1848 wird später, ihm die Schuld für die als Schmach empfundene Niederlage und den Abzug des Militärs genutzt durch die „Schwachheit“ des Königs angelastet. (K. Dang, Soz. Kampf..., 4.3.4.4. Die Revolution 1848/49 (Original) , S. 285, 288).

 

-Diskussion um Thronfolge: Vorschlag Prinz Karl, dessen Sohn bzw. der Prinz von Preußen Wilhelm - (M- Kliem, S. 277f - Wenn M. Kliem in diesem Zusammenhang die beiden Brüder Crelinger nennt, ist Vorsicht geboten, das Zitat der Prinzessin Augusta belegt dies nicht.)

Austragung von Gegensätzen, die in der Zeit vor 1848 begründet lagen und die „Konterrevolution“ hemmten, (M. Kliem: S. 84: S. 130ff)
Man warf sich gegenseitig vor, Schuld am Unheil zu sein (ebd., S. 158)

- Heftiger Streit um den Abzug der Truppen (vollständig oder nur teilweise) (ebd., S. 243)
- Parteien der Palastkämpfe brachen wieder auf (ebd., S. 247f, S. 399)
- neuer Schlosskommandant (ebd., S. 260)
- neue Regierung unter Arnim (ebd., S. 262,); zu L. Camphausen und Hansemann S. 366
- neue Adjutanten und Flügeladjutanten (ebd., S. 271)

- zum Oberbefehl von Prittwirtz - wurde ihm offensichtlich am 20.3. wieder entzogen (ebd., S.306)

- Prittwitz bemühte sich temporärer Diktator zu werden (ebd., S. 309)
- Prittwitz hat gegen die Kommandostruktur verstoßen, der König hatte den OberbefehlS.(ebd.,S.  312ff)

 

In einem Brief vom 27. März schreibt Ludwig von Gerlach aus Magdeburg an Hengstenberg: „ Ich behaupte mich in meinem Amte gegen Angriffe von unten und von oben, wo man vor dem Pöbel kriecht. (Brief von Ludwig von Gerlach an E.W. Hengstenberg, Nachlass Hengstenberg in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin, Nr. 158)

Statt auf Führungspersönlichkeiten und ihre Befehle zu warten, nahm man die Sache selbst in die Hände – wie man meinte, ganz im Sinne des Königs, aber wie gesagt, ohne ihn vorher gefragt zu haben, so Ludwig von Gerlach in einem Brief aus Magdeburg an E.W. Hengstenberg vom 17. März 1848: „Selbständige Männer, die dennoch mit dem Könige stehen, solche braucht er.“... „Wir haben lieber mit ihm conversiert und allerlei Witz und Klugheit ausgehen lassen, als uns, wie wir gekonnt und gesollt, selbstständig zu rüsten und ihm zuzuziehen als ein wohl bewaffneter Haufe. Wollten wir ihm antworten, dass er sich den Liberalen in die Arme geworfen und mit ihnen schön getan hat, so würde er uns mit Grunde antworten: Wo waret ihr denn damals? Auf dem Schlachtfelde bin ich euch nicht gewahr geworden. Sie sehen, auf Kritik des armen Königs bin ich nicht gerichtet, sondern auf den Balken im eigenen Auge...“ und kritisiert er seinen Bruder Leopold, den Generalmajor, „Die Zartheit, die L. Empfiehlt, gleicht einem Manne, der seinen Nächsten und Freund fallen sieht und es unzart findet, ihn fest anzufassen – wobei noch der Vorteil ist, dass man auch die eigenen Finger nicht verbrennt.“ ((Brief von Ludwig von Gerlach an E.W. Hengstenberg, Nachlass Hengstenberg in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin, Nr. 159)

 

6.2. Ebenso hart wird um die Mittel und Kommunikationsformen gerungen, die man anwenden muss, um die Herrschaft zu sichern, insbesondere um solche, die neu sind und von den Gegnern verwendet werden und die man vielleicht auch verwenden sollte, um erfolgreich zu sein

 

1848:

„Revolutionäre“, d.h. neue, von den Revolutionären verwendete Mittel, werden im Interesse der bisher Herrschenden zur Sicherung bzw. Wiedererlangung ihrer Herrschaft eingesetzt. ( M. Kliem S. 71)

Brief von Friedrich Wilhelm IV an den Grafen von Redern vom 23. Februar 1848: „Nach ihrem Vorschlag müsste ich der Revolution durch eine Revolution vorbeugen. Usurpation ist die gefährlichste Revolution, weil sie dem errungenen Unrecht oft Bestand gibt.“ Er lehnte den Vorschlag also (noch) ab. (Karl Haenchen, Revolutionsbriefe, S. 23)

In seinem Brief an Ludolf Camphausen vom 30.4. 1849, wendet sich der König gegen dessen Rat „mich, wenn auch nur momentan, dem Götzen der Volkssouveränität(der zu Frankfurt angebetet wird) zu beugen?“ - geschehe das auch 10mal in der gewissen Hoffnung, den Götzen zu stürzen durch allmählichen und weisen Gebrauch der verliehenen Gewalt, - das bliebe immer Tatsache, ich hätte dem Abgott geräuchert,...“ (König Friedrich Wilhelms IV. Briefwechsel mit Ludolf Camphausen, hersg. v. Erich Brandenburg, Berlin 1906, S. 200)

 

M. Kliem S. 222f: Diskussionen um Einsatz von Militär bzw. Leitung der Bewegung zur Einheit Deutschlands übernehmen vor dem 18. März

v. Arnim, Minister des Auswärtigen ab 21.März 1848 begründete später seinen Vorschlag des Umritts des Königs mit der deutschen Fahne am 21. März durch Berlin damit, dass er in der Nacht vorher davon gehört habe, dass sich eine provisorische Regierung aus angesehenen gebildet habe. Er warnte die Minister und dann den König selbst und riet: … durch eine königliche Tat der beabsichtigten Tat einer provisorischen Regierung zuvorzukommen und damit zugleich der Bewegung eine entschiedene und entscheidende Richtung zu geben:“ Mit seinem Rat kam er „den bereits bestehenden Absichten, ja einem schon gefassten Entschluss entgegen. (A. Wolff, bd. 3 von 1854, S. 570)

 

Zum Umritt durch Berlin am 21. März mit der deutschen Fahne, Vater des Gedankens sei Fürst Lichnowsky am 20.3. gewesen s. M. Kliem, S. 278ff

Zeitungen, Parteien, Vereine, Volksbewaffnung: Wen erreiche ich wie, um neue Bündnispartner für den Kampf zu gewinnen?
Woher bekommt man die nötigen Finanzen dafür?
Wer eignet sich als Leiter bzw. Mitarbeiter des Unternehmens? Bisher gemäßigte Personen werden zu Hoffnungsträgern gegenüber den Hardlinern.

 

- zu Ludwig von Gerlach und seine Aufruf zur Gründung einer konservativen Partei (Kliem, S. 368)

- Neue Presseorgane: Neue Preußische Zeitung (Kreuzzeitung), Das neue Preußen, Deutsche Wehrzeitung, Neue Volkszeitung u.a. (ebd. S. 428)


- neue Vereine (ebd.)

-  Adressen – Unterschriftsammlungen zugunsten des Königs (ebd., S. 376ff)

 

7. Kräfte für den Kampf werden durch unerledigte, schwelende ältere Konflikte geraubt

  
 

1848: Hierfür ist der Wedeke-Skandal ein Beispiel: Siehe die folgende Dokumentation!


- Gegensätzliche Standpunkte aus der Zeit vor 1848 brachen 1848 neu unter den Mächtigen auf, s. M. Kliem ,S. 84, S. 129ff; S. 141ff zu den Palastkämpfen, S. 158

8. Je nachdem, wie der Kampf ausgeht, muss nachträglich das Geschehene „korrigiert“ werden

8.1. - Dies geschieht durch Weglassen, Vertuschen bzw. in einen anderen Zusammenhang stellen durch das Veröffentlichen einer Autobiographie

   

Die Schilderung der Ereignisse in der Tagebuchausgabe des Leopold von Gerlach- Ein Vergleich von drei vorhandenen Texte zeigt, dass sein Vorwurf gegen den König fehlt in der Druckausgabe, in einer handschriftlichen Abschrift steht er nur zur Hälfte, in der maschinenschriftlichen vollständig: „Das ist mit der schwerste Vorwurf gegen Seine Majestät, denn er war hier der Knecht, der seines Herrn Willen wusste und nicht tat und daher doppelter Streiche wert.“ (K.Dang: Soz. Kampf: Exkurs 2, Gerlach-Archiv Erlangen, Tagebuch Bd. 6, S. 15)

 

Möglicherweise zu diesem Zweck der Selbstrechtfertigung gegenüber Kritik ließ der Pfarrer Friedrich Wilhelm Krummacher 21 seiner Predigten, die meisten aus dem Zeitraum 1848/49 noch im selben Jahr drucken. (K.Dang, Soz. Kampf, 4.3.4.4. Die Revolution 1848/49 (Original) S. 270ff)

 

Ein Vergleich zum Tagebucheintrag von Varnhagen über den Hofprediger, was er ihm am 18. erzählte und dessen späterer eigener Schilderung in seiner Autobiographie Anfang der 60er Jahre. ( bei K. Dang, Sozialer Kampf, 4.3.4.4. Die Revolution 1848/49 (Original) S. 286ff

  

8.2. Es wird verleugnet, was man gesagt oder getan hat, man will es selbst nicht mehr wahrhaben

  1848/49:

Friedrich Wilhelm IV. in seinem Brief vom 19.3.1849 an seine Schwester Charlotte, die Zarin von Russland zum Jahrestag der Barrikadenkämpfe spricht von einem „mir ewig unerklärlichen Fehler im Militärbefehl“, durch die die „Ehrlosigkeiten des vorigen Jahren“ vollendet wurden (Karl Haenchen, Revolutionsbriefe 1848, S. 399)

 

Ludwig von Gerlach war sich Anfang April seiner nicht im Sinne des Königs erfolgenden konspirativen Tätigkeit bewusst. In seinen Briefen an seinen Bruder Leopold benutzt er für den König das Kürzel B, B weil der König in seiner Familie „Butte“ genannt wurde, Auch gegenüber dem Prinzen von Preußen sind die Urteile wechselhaft. Nach anfänglicher Begeisterung Ludwigs, dann Enttäuschung in einem Brief vom 12. Mai.

Am 16.4.1848 schrieb Ludwig seinem Bruder Leopold „Hüte Dich vor Infektion, wenn Du B's Haus betrittst. Dies bekümmert mich sehr. Bedenke, dass Du und ich Könige sind.“ (Gerlach-Archiv Erlangen, Beilagen Bd. 18, S. 10)

Leopold äußerte sich ähnlich distanziert, ab 18.4. dann milder, erst ab Mitte Mai wendet er sich gegen Abdankungsgedanken, erst Ende August kam es im Verhältnis zum König zu einer Wende. Grund war der selbständige Abschluss des Waffenstillstands mit Dänemark. (K. Dang: Soz. Kampf.. Exkurs II.)

 

 

1Manfred Kliem, Genesis der Führungskräfte der feudal-militaristischen Konterrevolution 1848 in Preußen. Berlin 1966. (Phil. Dissertation A. Humboldt-Universität Berlin 1966) s.: https://de.wikipedia.org/wiki/Manfred_Kliem; Im Archiv der Humboldt-Universität liegt diese Arbeit in digitalisierter Form vor.