Dokumentation

 

über die Kampagne in DDR-Medien gegen Ausländer allgemein,

vor allem aber gegen Polen

im November und Anfang Dezember 1989

 

 

anhand der jederzeit im Internet zugänglichen digitaisierten Ausgaben der

Berliner Zeitung

des Neuen Deutschlands, dem Zentralorgan der SED

und der Neuen Zeit, dem Zentralorgan der CDU der DDR1

 

 

Es zeigt sich folgendes:

 

Am 19.10.1989 fiel durch die Auflösung der Abteilung für Agitation im ZK der SED die zentrale Anleitung der Massenmedien weg. So sind die Berichte über das dann Vorgefallene in den drei Zeitungen unterschiedlich.

 

Am 4.11.1989, beim Treffen von E. Krenz mit J. Jozwiak war das Verhältnis noch in Ordnung.

In der Nacht vom 9. zum 10. November wurde die Mauer geöffnet.

 

Am 17.11.1989 stellte H. Modrow, der am 13.11. zum Ministerpräsidenten gewählt worden war, sein Kabinett vor und las eine Regierungserklärung vor. Darüber wird im ND vom 18./19.11. wörtlich berichtet und von Maßnahmen spricht, um „zum Schutz unserer Währung und Spekulationen mit Geld und Waren entgegenzuwirken.“ Dafür wäre eine Arbeitsgruppe gebildet worden.

In der Berliner Zeitung steht dagegen in einem zusammenfassenden Bericht über die Regierungserklärung unter der Zwischenüberschrift: „Abkauf von Waren verhindern“:  "Zur Stabilisierung des Binnenmarktes gehören ferner Maßnahmen, die geeignet sind, den massenweisen Abkauf von Waren, insbesondere von subventionierten Waren, durch bestimmte ausländische Touristen und Spekulanten zu verhindern.“

Dazu steht dann auf Seite 5 ein langer Artikel, u.a. über den Polenmarkt in Westberlin, der auch „Zahlen und Fakten“ nennt, u.a. dass „ausländische Touristen – nicht nur Polen – in diesem Jahr nach Schätzungen des Ministeriums für Handel und Versorgung Waren im Wert von 2 bis 2,5 Milliarden Mark“ dem DDR-Markt entziehen würden.

 

Am 23.11.1989 beschließt dann die neue Modrow-Regierung „Maßnahmen gegen die Schieberei“, so in der Berliner Zeitung vom 24.11. S.1: „So dürfen ab heute bestimmte Konsumgüter und Lebensmittel nur noch von DDR-Bürgern und hier arbeitenden ausländischen Werktätigen erworben werden.“ - In einem weiteren Artikel dazu heißt es in der Überschrift „Auch westliche Allierte können nicht mehr alles kaufen.“

 

Im Neuen Deutschland heißt es am 25.11.1989 unter der Überschrift: „Nicht „die Polen“...: „Die Regierung der DDR hat am Donnerstag – auch auf Drängen der Bevölkerung – eine Reihe von realistischen Maßnahmen beschlossen, die sich gegen Spekulationen und Schieber richten.“

In einer weitere Meldung dort ist von dreitägigen Verhandlungen zwischen der DDR und Polen u.a. zu diesen Fragen die Rede, in denen der Leiter der Deligation schon um Entschuldigung „für einzelne Fälle“ bitten musste.

Heute ist im Internet ein Bericht über die "Reaktionen der Bevölkerung auf die 12. Tagung der Volkskammer“ vom 17.11.1989 veröffentlicht. Aus diesem wird m.E. deutlich, dass sich die „Angst vor einem Ausverkauf“, Schmuggel und Spekulationen daraus ergab, dass die DDR-Bevölkerung trotz Versicherung in der Regierungserklärung, dass Sparenlagen sicher seien, in großem Umfang Geld vom Konto holte und „hochwertige“ Konsumgüter kaufte, was ja auch verständlich ist, wenn man die eigene Währung für nicht stabil hält.

 

Am 27.11.1989 berichtet die Berliner Zeitung über Proteste Polens gegen die Maßnahmen und macht auf S. 2 eine Rechnung auf, um die Spekulationsgewinne durch Handel mit DDR-Produkten zu beweisen. Sich selbst karrikierend beginnt die Rechnung mit einer Tüte Backpulver! Es folgen „Schlager-Süßtafeln“ – ein DDR-Ersatz für Schokolade, Gelantine...!

 

Am 1.12. 1989 stand in der Berliner Zeitung dann auf S. 1 die Erfolgsmeldung: „Zoll: Ausländer kaufen jetzt weniger ein“, die von ihren Zahlen her überhaupt nicht stimmen konnte und damals meine Aufmerksamkeit und Proteste auslöste.

 

Der Artikel in der Tribüne, der Gewerkschaftszeitung zeigt, dass es nicht nur gegen die Polen, sondern auch gegen Vietnamesen Hetzartikel in dieser Zeit gab. Mich veranlasste diese Zeitung, aus dem FDGB mittels eines Protestbriefes auszutreten und diesen Schritt bei einer Fakultätsversamlung im Dezember öffentlich bekanntzugeben.

 

Am 4.12. 1989 wird über scharfe Reaktion Polens gegen die „antipolnische Propagandakampagne“ in der DDR berichtet und dass Polen den Abzug aller 32.000 in der DDR eingesetzen Arbeitskräfte erwägt.

 

In einer weiteren kleinen Meldung wird betont, dass in der DDR lebende oder beschäftigte ausländische Bürger wie DDR -Bürger einkaufen könnten.

Über die in diesen Tagen stattgefundene Protestveranstaltung im Auditorium Maximum der Humboldt-Universität, organisiert von einer Journalistin der Berliner Zeitung wird nicht berichtet, sondern nur im "West"radio. Dort war deutlich geworden, dass Ausländer aller Art in dieser Zeit beim Einkauf diskriminiert wurden. Auch über eine Demonstration gegen die Behandlung von Ausländern in der DDR vor dem Roten Rathaus in Berlin wurde nicht berichtet.

 

Im Bericht in der Neuen Zeit vom 4.12.1989 über die polnischen Proteste heißt es, dass „zahlreiche Geschäfte Hinweisschilder führten mit der Aufschrift: „Verkauf nur an Bürger der DDR“, die für Polen Assoziationen an die „ Zeit der Hitlerokkupation“ weckte.

 

Die Artikel vom 6.12.1989 zeigen, dass von der Reisewelle von DDR-Bürgern – laut ND vom 1.12.1989 in 19 Tagen 16,9 Millionen nach Westberlin und die BRD - und den vielen „Übersiedlern“ in die BRD auch die Deutschen in Polen und sicher auch in der Sowjetunion betroffen waren und mit Nachteilen zu rechnen hatten.

 

In der Wochenendausgabe vom 9./10.12.1989 steht dann in der Berliner Zeitung auf S. 2 ein versöhnlicher Artikel gegenüber den Polen, verfasst nicht von Axel Knack wie die früheren zumeist, sondern von Hanfried Zimmermann (dem Pfarrer?). Er erlebe, dass „DDR-Bürger“ abschätzig über Polen reden. „Solche Pauschalisierung kommt mir bekannt vor. Wurde nicht so auch über die Juden gesprochen?“.... „Ja, ich habe Angst, dass alte, längst vergesssen gemeinte Vorurteile wieder Platz gewinnen – unserem polnischen Nachbarvolk, aber auch anderen Menschen gegenüber.“

Dass die DDR-Bürger aber von den Medien, hier speziell der Berliner Zeitung selbst dazu angestiftet wurden, sagte er leider nicht.


Dr. sc. theol. Katharina Dang im Juni 2021

 

1S: https://zefys.staatsbibliothek-berlin.de/login/#may – Zugriff am 30.6.2021

Neues Deutschland vom 4.11.1989, Seite 2

 

 

 

Neues Deutschland vom 18./19.11.1989, S. 4 Im Rahmen des wörtlichen Berichts der Regierungsansprache von H. Modrow:

 

 

 

 Berliner Zeitung vom 18./19.11.1989, S. 3:

 

 

 

Berliner Zeitung vom 18./19.11.89 – S. 5:

 

 

 

 

 

Berliner Zeitung vom 24.11.1989 – S. 1:

 


 

 

Berliner Zeitung vom 24.11.1989, S. 2:

 

 

 

 

 

Berliner Zeitung vom 24.11.1989 S. 4:

 

 

 

 

Ebd. Berliner Zeitung vom 24.11.1989 S. 4:

 

Ebd. Berliner Zeitung vom 24.11.1989 S. 4:

 


 

Neues Deutschland vom 25.11.1989, S. 2:

 

 

 Reaktion der Bevölkerung auf 12. Tagung der Volkskammer

25. November 1989
Hinweise über die Reaktion der Bevölkerung auf die 12. Tagung der Volkskammer der DDR [Bericht O/234]1

Nach vorliegenden Hinweisen aus einigen Bezirken der DDR bilden Meinungsäußerungen zur 12. Tagung der Volkskammer der DDR einen Schwerpunkt in der Reaktion der Bevölkerung.

Im Mittelpunkt dabei stehen die Wahl des Ministerrates der DDR und die Regierungserklärung seines Vorsitzenden.

 

In einer Vielzahl von Meinungsäußerungen zur ökonomischen Situation und zur Devisenlage in der DDR spielt die Entwicklung des Reiseverkehrs von DDR-Bürgern in das nichtsozialistische Ausland eine große Rolle. Obwohl die »Öffnung der Grenzen«5 generell auf breite, zum Teil euphorische Zustimmung der Bevölkerung stieß, mehren sich Meinungsäußerungen, in denen wachsende Sorge und Befürchtungen hinsichtlich negativer Auswirkungen dieser Maßnahmen auf die Lage im Innern der DDR zum Ausdruck kommen. Genannt werden dabei vor allem

  • Angst vor einem »Ausverkauf«,

  • rapider ökonomischer Abstieg in der DDR und damit Verschlechterung des Lebensniveaus,

  • Anstieg der Kriminalität, u. a. durch Schmuggel/Spekulationen mit Waren und Mark der DDR, Prostitution, Drogensucht, Spekulationen mit eingeführten Pkw,

  • Wiederbelebung des »Grenzgängertums«.

Das bisher Geleistete werde heute durch Personen in Frage gestellt, die sich in zurückliegender Zeit kaum für die gesellschaftliche Entwicklung in der DDR engagiert hätten. Vorgenannter Personenkreis betrachtet die gegenwärtige Situation, in der jeder seine häufig von egoistischen Zielen geprägten Forderungen lauthals verkünden könne, als unerträglich. Es wird erwartet, dass sich Partei und Regierung sowie die Massenmedien entschiedener dagegen zur Wehr setzen.

…..

 

Darüber hinaus liegen aus nahezu allen Bezirken und der Hauptstadt der DDR Hinweise vor, denen zufolge weiterhin Gerüchte über unmittelbar bevorstehende Preissteigerungen – zum Teil begründet mit dem Wegfall von Subventionen – bzw. über eine generell mit einer Abwertung der Mark der DDR verbundene Währungsreform verbreitet werden.

Das finde seinen Niederschlag vor allem in

umfangreichen Geldabhebungen bei Banken und Sparkassen, wobei hier auch Zusammenhänge zur Nutzung dieses Geldes im Zusammenhang mit dem Reiseverkehr gesehen werden,

  • einem ständig anwachsenden und flächendeckenden Abkauf von hochwertigen Konsumgütern (u. a. Kühlschränke und -truhen, Möbel, Waschmaschinen, Radio- und Fernsehtechnik, Schmuckwaren, Kristallwaren).

Auch die ausdrückliche Feststellung, dass die Regierung der DDR den Wert der Spareinlagen garantiere, hat nach bisher vorliegenden Hinweisen nicht beruhigend auf diese Situation gewirkt.

Eng damit im Zusammenhang stehend werden zunehmend pessimistische Auffassungen zur Stabilisierung der Lage im Innern der DDR vertreten.

Es häufen sich Standpunkte, wonach die tiefe ökonomische Krise, insbesondere die hohe Staatsverschuldung, alle Hoffnungen auf eine Konsolidierung der Wirtschaft zerstört habe.

Als einziger erfolgversprechender Ausweg wird von zahlreichen Werktätigen eine enge wirtschaftliche Bindung an die BRD bzw. an die Europäische Gemeinschaft gesehen.“



1https://www.ddr-im-blick.de/jahrgaenge/jahrgang-1989/report/reaktion-der-bevoelkerung-auf-12-tagung-der-volkskammer-1/ - Zugriff am 30.6.2021

 

 

Berliner Zeitung vom 27.11.1989, S. 1:

Berliner Zeitung vom 27.11.1989, Seite 2:

 

 


 

 

Neues Deutschland vom 30.11.1989, S. 2:

 

 

 

 

 

Neues Deutschland vom 1.12.1989, S. 2:

 

 

 

 

 

Berliner Zeitung am 1.12.1989, S. 1:

 

 

 

 

Die Tribüne, Organ des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes der DDR (FDGB)
vom 2./3.12.1989, S. 4

 

 

 

 

 

Berliner Zeitung vom 4.12.1989, Seite 2:

 

 

 

 

 

 

 

Neue Zeit (Organ der DDR-CDU) vom 4.12.1989, S.1 und S. 5:

 

 

 

 

Neues Deutschland vom 5.12.1989, S. 2:

 

 

 

 

Berliner Zeitung vom 6.12.1989, S. 6:

 

 

 

 

Berliner Zeitung vom 9./10.12.1989 – S. 2: