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Am 1. Mai 1990 habe ich folgenden Artikel verfasst und weggeschickt, ob er veröffentlicht wurde, weiß ich nicht mehr:
 

 

Die Kirchensteuerfrage anno 1848?

In der Monatsschrift für die unierte evangelische Kirche las ich dieser Tage einen Aufsatz von Liz. theol. Heinrich Krause „Welchen Beruf hat im gegenwärtigen Augenblick die evangelische Kirche?....“, erschienen im 2. Quartalsheft 1848 der Zeitschrift. Krause rechnete damals damit, dass in aller nächster Zeit die Kirche ihre Selbständigkeit vom Staat erhalten würde und schlussfolgert aus dieser Situation u.a. folgendes:

„Dazu gehört notwendig, dass die Kirche auch Mittel für ihre Bedürfnisse selbständig beschaffe und verwalte. Der Staat hat keinen Beruf, der Kirche die nötigen Mittel zu überweisen oder gar die Verteilung derselben zu übernehmen. Aus den Steuern, welche der Staat bezieht, dürfen nur allgemeine Staatsbedürfnisse bezahlt werden. Nur also wo es eine Staatsreligion und zwar eine Staatsreligion gibt, d.h. wo der Staat verordnet, dass eine und welche Religion im Lande herrschen solle, ist die Besoldung der Kirche durch den Staat in der Ordnung. Wo aber nur irgendwelche Religionsfreiheit und Selbständigkeit der Kirche gegeben ist, wo das Recht der freien religiösen Vereinigung anerkannt ist: da hat jede religiöse Gesellschaft gleich jedem anderen Verein und jeder Genossenschaft Recht und Pflicht sich aus eigenen Mitteln zu erhalten und über ihre Mittel nach eigenem Ermessen zu verfügen. Übernimmt das der Staat, so begeht er dieselbe Anmaßung, als wenn er sich herausnehmen wollte, die Börse eines einzelnen Bürgers oder die Kasse einer Gesellschaft zu verwalten. Zugleich eine Ungerechtigkeit. Denn die verschiedenen religiösen Gesellschaften brauchen Summen von sehr verschiedener Höhe, die römischen z.B. ungefähr das Vierfache im Verhältnis zu den evangelischen. Es ist ungerecht, auf dem Wege der zwangsweisen Besteuerung jemanden zur Bezahlung von ganz eigentümlichen religiösen Bedürfnissen anderer zu nötigen, gerade so ungerecht, als wollte man alle Staatseinwohner zwingen für den Gustav-Adolf-Verein, für die Missions-, Bibel- und Krankenvereine oder für die Erhaltung der Mönchsorden, für Kunstgenüsse und Liebhaberei beizusteuern. Und wollte man etwa, um das zu vermeiden, die Abgaben für die religiösen Bedürfnisse nach Maßgabe dieser auch in verschiedener Höhe ausschreiben, so würde doch einmal die Ungerechtigkeit auf diesem Wege nicht ganz zu beseitigen sein, da es ja Leute gibt, die für ihre religiösen Bedürfnisse gar keine Mittel nötig haben oder gar keine religiösen Bedürfnisse haben. Überdies wäre das eine unnütze Weitläufigkeit, dass jede religiöse Gesellschaft nach Maßgabe ihrer Bedürfnisse – was noch dazu nie genau berechnet werden kann! - an den Staat zahlte, und der Staat an sie nach Maßgabe ihrer Bedürfnisse zurückzahlte. Und in jedem Falle eine Bevormundung von Seiten des Staates, die sie sich verbitten müssen; und wo sie diese dulden oder gar fordern, die Erklärung, dass sie selber unfähig seien, ihre Kasse eigenhändig zu verwalten.

Der Staat kommt mit dem Eigentum der kirche weiter keine Berührung, als dass sie wie jedes andere im Staate lebende Wesen seinen gestzen über Erwerb und Verkauf, über Erbschaft und Nachlassenschaft usw. unterworfen sein muss. Die Sache versteht sich eigentlich von selbst; aber dennoch wird sie fast allgemein bestritten. Warum? - weil die Pfarrherrn Schmälerungen ihrer Pfründe befürchten. Und mit Grund; es möchten wohl manche feisten Bäuche mager werden. Denn der Staat treibt die Steuer zwangsweise ein und sichert also den Pfarrherrn gewisse Einkünfte; die Kirche empfängt nur freiwillige Gaben der liebe. Aber gerade darum muss die Kirche sich die hilfe des Staats für ihre mittel verbitten, gleichwie sie sich die polizeiliche Hilfe für die Wirksamkeit ihrer Predigten verbitten muss. Leidet sie die Hilfe des Staates oder fordert sie gar, so beweist sie, dass sie kein vertrauen hat zu sich selber, dass sie nicht verdient zu existieren.

Die Kirche ruht auf dem Glauben, jede äußere Stütze stört und untergräbt ihre Wirksamkeit, denn sie offenbart darin, dass sie selber keinen Glauben hat. Aus dem Glauben allein schöpft sie ihre mittel. Wie Jesus einherging durch das Land das Evangelium predigend und ließ sich dienen von denen, die ihm nachfolgten, wie er seine Jünger aussendete ohne Gold und Silber mit der Anweisung „der Arbeiter ist seines Lohnes wert“, so soll die Kirche durch die Welt wandeln, Christentum predigen; und sich erhalten lassen von denen, die ihr zufallen. Im Bewusstsein dieser Wahrheit hat sie die Zuversicht, dass ihr die mittel nicht fehlen können, und sie ist in ihrer Zuversicht nie getäuscht worden. Bleiben ihr die freiwilligen Liebesgaben aus wegen religiöser Gleichgültigkeit, so zeugt das wider sie, dass sas Salz dumm geworden; und ist der Kirche, die nicht vermag, religiöses Interesse lebendig zu erhalten, auch ganz heilsam, dass sie Hunger leide. Schon die Leviten waren großenteils auf die Gaben der Freiwilligkeit angewiesen und hatten es schlimm, wenn das Volk gottlos war. Also um der Gerechtigkeit, um ihrer Ehre, um ihres Glaubens willen muss die Kirche fordern, dass der Staat ihre die Beschaffung und Verwaltung ihrer mittel gänzlich überlasse. - Die Auseinandersetzung mit dem Staat in Betreff der Kirchengüter wird große rechtliche Schwierigkeiten haben,.... Aber Schwierigkeiten in der praktischen Ausführung dürfen nie von der Erfüllung einer Pflicht zurückhalten. Pflicht aber ist es.“1

Die rechtlichen Schwierigkeiten von damals sind inzwischen längst geklärt. Die Kirche hatte bei uns die juristische Stellung vom Staat, die man damals erhoffte, bald zu erreichen. Nur die finanzielle Selbständigkeit hatten wir vor allem von der Hilfe der westdeutschen Kirchen, gezahlt auch aus nationalen und politischen Gründen. Hilfe in diesem Maße und über Jahrzehnte bedeutet für den Hilfsempfänger eine Gefahr. Im Bild gesprochen: Er wohnt in einem Gebäude, das er aus eigener kraft nie hätte bewirtschaften, in Ordnung halten oder erhalten können, aber er ist physisch nicht in der Lage, in einem kleineren, seinen eigenen Mitteln entsprechendem Haus zu wohnen, weil er meint, das was Hunderte andere neben ihm seit eh und je so haben, nicht verkraften zu können und außerdem einen Rechtsanspruch auf seinen gegenwärtigen Standard zu haben. Aufgrund solcher und ähnlicher Erfahrungen spricht man in der Entwicklungshilfe seit langem davon, dass man „Hilfe zur Selbsthilfe“ leisten möchte. Wer in der Vergangenheit deshalb jene unseren Kirche geleistete Hilfe infrage stellte und meinte, dass in einem Land mit solchem Wohlstand wie der DDR die Kirche sich selbst erhalten können müsste, erhielt als Antwort, die Hilfe hört sowieso bald auf. Anfang der 90er Jahre sollten die Berliner Kirchengemeinden selbständig werden:

„Die Kirche empfängt nur freiwillige Gaben der Liebe.“ - Wenn die Synode ihre Entscheidung gefällt hat, entbindet das keinen Christen davon, darüber nachzudenken. Die Entscheidung vor der wir jetzt stehen heißt: Gott oder Mammon.


Anmerkung:

1Ebd. S. 495-497