Wie ich darauf kam, mich intensiver mit der Revolution 1848 in Berlin zu beschäftigen

 

Im September 1986 bekam ich eine Stelle als Assistentin für Praktische Theologie an der Humboldt-Universität zu (Ost-) Berlin und damit die Möglichkeit, meine Untersuchungen zu den marxistischen Vorwürfen gegen das Christentum und die Kirchen fortzuführen, die ich an Hand der Predigten der Berliner Hof- und Domprediger 1980 in Greifswald während eines Forschungsstudiums begonnen hatte. Dort hatte ich drei Jahre zum Schreiben einer Dissertation Zeit gehabt. Durch die Geburt unserer beiden ältesten Kinder hatte das länger gedauert und konnte die Verteidigung und Promotion erst 1985 stattfinden. Auch hatte ich es nicht geschafft, wie ursprünglich vorgehabt, die Untersuchung bis in die Gegenwart durchzuführen. Aufgrund der Fülle des vorhandenen Materials war ich nur bis zum Ende der Aufklärungszeit 1817 gelangt. Nun hoffte ich, die Analyse der Predigten fortführen zu können, doch blieb ich Mitte des 19. Jahrhunderts stecken. Denn diese Zeit stellte sich anhand der Quellen als so ganz anders dar, als ich durch Schule, Studium und Literatur bisher überall erfahren hatte.

Ich entschloss mich, nicht nur Predigten zu lesen, sondern auch die damals in immer größerer Zahl erscheinenden Zeitungen zu befragen, vor allem die Evangelische Kirchenzeitung, die von Ernst-Wilhelm Hengstenberg1 herausgegeben wurde. Von hier aus fiel ein ganz anderer Blick auf die innertheologischen Kämpfe der damaligen Zeit und die 48er Revolution, als ich vermutet hatte. Dazu kamen die drei Bände von Adolf Wollf über die ersten vier Monate der Revolution2, die im Lesesaal der Humboldt-Bibliothek standen, aber so viel Material enthielten, dass sie, wie mir schien, kaum einer mal gelesen hat. Gedruckt 1851 bis 1854 sind sie selbst ein Zeitzeugnis und erzählten mir von einem Berlin, das ich mir nicht vorstellen konnte, z.B. von der Begeisterung der Berliner bei der Befreiung der inhaftierten polnischen Freiheitskämpfer und davon, dass der Choral „Jesus meine Zuversicht“ die Hymne der Revolution war. Ich erfuhr, dass es eigentlich keinen Grund für die Barrikadenkämpfe am 18. und 19. März gegeben hatte, da der König schon gerade vorher versprochen hatte, die Forderungen der Bürger umzusetzen, sondern dass sie durch zwei Schüsse ausgelöst wurden, die plötzlich und aus nie geklärtem Grund abgegeben wurden.

Auf der Suche nach der Wahrheit hinter diesen so verschiedenen Berichten, den heutigen und den damaligen Darstellungen, fand ich Erklärungen in der Dissertation eines Manfred Kliem von 19663. Er war sehr misstrauisch gegenüber den üblicherweise benutzten Quellen, später verfassten Biographien und Darstellungen der Abläufe im Berlin jener Tage gewesen und hatte vor allem die ihm zugänglichen, auf DDR-Gebiet gelegenen Archive in 10jähriger Arbeit nach der Wahrheit durchforstet. Was ich dort über jene Tage um den 18. März 1848 las, brachte mich zu dem Urteil, dass dies ja der ganzen DDR-Geschichtsschreibung über jene Zeit widersprach. Für diese war das Jahr 1848 die Geburtsstunde der Arbeiterbewegung, die mittels des damals von Marx und Engels verfassten Kommunistischen Manifests 1917 in Russland und nach 1945 auch bei uns gesiegt hatte. Ich suchte, ob ich anderes von Manfred Kliem fand, las aber nur einen kurzen Artikel über Adlige der damaligen Zeit und hatte den Eindruck, dass er sich doch nicht mehr an das politisch heikle Thema, was damals wirklich passiert war, herangewagt hatte. Nun war damals für mich als 30jährige vom Gefühle her eine 20 Jahre alte Dissertation schon sehr alt und ich kam nicht auf die Idee, mal in der Sektion Geschichte der Humboldt-Universität nachzufragen, ob dort ein Dr. Manfred Kliem bekannt sei.

Mitten während des Lesens dieser alten Zeitungen, Predigten, Biographien und Beschreibungen jener Zeit vor damals 140 Jahren erlebte ich nun plötzlich etwas sehr Ähnliches, ein Aufblühen der Menschen, die bis dahin alles hingenommen hatten. Sie fanden den Mut, auszusprechen, was bisher Tabu-Themen waren und man nur im vertrauten Kreise an Informationen ausgetauscht hatte. Die Probleme kamen auf den Tisch. Die bisher Verantwortlichen und Chefs sahen „sehr alt“ aus und wussten nicht, was sie dazu sagen sollten. Insgesamt herrschte eine tolle Stimmung. Das Verhältnis zu den Studenten wurde ein ganz anderes. Bewundert wurden die Polen, Tschechen und Ungarn, was die sich trauten – unsere sozialistischen Brudervölker. Dazu kamen andere Erfahrungen und Erlebnisse, die mich immer wieder an das denken ließen, was ich über 48er Zeit gelesen hatte. Ich erfuhr: Ja, solche Zeiten gibt es. Das war ein großes Geschenk für mich.

Was ich aus dem allen lernte, will ich im Folgenden beschreiben. Durch die Dissertation von Manfred Kliem war ich auf das Gerlach-Archiv in Erlangen aufmerksam geworden, das er damals nicht besuchen konnte. So nutzte ich die erste Rundreise zu Verwandten und Freunden, die ich mit unseren Kindern im Februar 1990 unternahm, das Archiv von Nürnberg aus zu besuchen und fand die Thesen von Kliem und meine Vermutungen dort alle bestätigt.

Zugleich war es die Zeit, dass ich die Befürchtung hatte, dass sich für meine Arbeit und Erkenntnisse nun niemand mehr interessieren würde, da sich der Sozialismus nun selbst erledigt hatte, und zwar so ganz anders, als man immer hier gefürchtet hatte, nicht durch die Waffen des Westens, die Konterrevolution, sondern dadurch, dass die noch bis vor kurzem von der Idee des Sozialismus so Überzeugten nun zum Teil wie von einem Tag zum andern die „Wende“ genommen hatten und nun alles, was vorher als ganz schlimm und zu bekämpfen galt, nun auf einmal gut und vorbildlich war.

Ich hatte Glück. Es fand sich ein westdeutscher renommierter Professor der meine Arbeit neben meinem Mentor und einem anderen Kollegen begutachtete und ich konnte meine Arbeit als Dissertation B 1990 verteidigen. Ich hätte sie damals auch von einem Wissenschaftsverlag drucken lassen können, aber dazu hatte ich nicht das Geld. Meine Stelle an der Fakultät war befristet und angesichts der anstehenden Fusionen, war auf eine akademische Weiterarbeit nicht zu hoffen. Nach Arbeitslosigkeit und ABM-Stelle wurde ich vom Gemeindekirchenrat der Gemeinde Marzahn/Nord 1992 zur Pastorin gewählt und blieb dies bis zu meinem Ruhestand Anfang 2019.

Als es technisch einfacher möglich wurde, auch als Laie eine Internetseite zu betreiben, habe ich dort auch meine Dissertationen veröffentlicht, nachdem ich die Möglichkeit hatte, sie im Fromm-Verlag drucken zu lassen und sie zu diesem Zweck noch einmal hatte abschreiben lassen. Doch Interesse an der inhaltlichen Fragestellung ist mir bisher nicht begegnet.

Nun im Ruhestand, in dem ich nacharbeiten möchte, was mir Herzensanliegen ist und was ich bisher nicht geschafft habe, wurde ich durch ein Gespräch mit einem Kollegen, mit dem ich mehr zufällig auf das Thema der 48er Revolution kam, wieder an M. Kliem erinnert. Ich sah im Internet nach und las dort, dass er schon 2012 verstorben sei und in Fredersdorf bei Berlin im Heimatverein sehr aktiv war. Ich kam auf die Idee, dort mal anzufragen, ob vielleicht seine Witwe noch lebe und wenn ja, ob man mir den Kontakt vermitteln könne. Die Antwort kam prompt. Ja, sie wohne dort. Ich bekam ihre Telefon-Nummer. Sie wusste sofort über die Dissertation ihres Mannes Bescheid und erzählte mir, dass sie ein Buch über die Familiengeschichte geschrieben habe, das gerade erschienen sei: „Raus, Raus. Raus!“4 - Dreimal raus: raus aus Nazi-Deutschland – ihre Großeltern als Kommunisten; raus aus Schlesien – ihr Mann als 10jähriger und raus aus der Humboldt-Universität – ihr Mann nach der Wende. Ich habe mir sofort das Buch bestellt und in einem Zuge durchgelesen. Hoch interessant!!!

Dann durfte ich sie zu Hause besuchen und wir haben lange miteinander geredet. Sie erzählte mir, dass sie den Nachlass ihres Mannes, was seine Dissertation betraf, dem Archiv der Humboldt-Universität übergeben hatte, und vermittelte mir den Kontakt. Es war nicht viel Material, das ich dort fand, nur seine Diplomarbeit zu dem Thema, aber keine Manuskripte, doch die Arbeit an sich mit über 500 Seiten. Ich ließ sie digitalisieren, um sie und die viele Arbeit, die in ihr steckt, auf jeden Fall für Künftige zu erhalten. Denn sie war. wie alle anderen aus jener Zeit mit dem Ormig-Verfahren vervielfältigt worden, und wie lange das noch lesbar ist, ist die Frage.

Ursprünglich wollte ich einen Verlag suchen, der sie druckt, um die Erkenntnisse darin bekanntzumachen. Zuerst habe ich sie aber selbst im letzten Sommer ganz gelesen und festgestellt, dass man sie wegen bestimmter darin enthaltener Sätze und Urteile nicht unkommentiert würde drucken lassen können. Gerade im Vorwort wird deutlich, was selbst inzwischen Geschichte ist, die Art, wie man damals seine Arbeit als für den Sozialismus wertvoll und nötig anpreisen musste, wollte man selbst und die Betreuer der Arbeit nicht Ärger bekommen.

Beim Lesen der Arbeit und meiner damaligen Notizen darüber stellte ich aber jetzt auch fest, dass ich mir im Laufe der Zeit etwas falsch gemerkt und es auch falsch erzählt hatte. König Friedrich Wilhelm IV. hatte seinen Umritt durch Berlin mit der deutschen Fahne am 21. März gemacht. Dies konnte also nicht ein Ergebnis der Erpressung des Königs durch das Gespräch sein, dass er laut M. Kliem am 23. März mit Otto Crelinger, einem Führer der Liberalen hatte und woraufhin dieser am 25. März über 3000 und für Eusebius Wedeke 30.000 Taler erhalten habe, damit nicht durch Wedeke an die Öffentlichkeit komme, was dieser über krumme Geschäfte des Prinzen Carl, des Bruders des Königs, im Zusammenhang mit Eisenbahnbau wisse. Wenn das geschähe, wäre es in dieser Situation mit dem Königtum in Preußen ganz aus gewesen.

Die entscheidende Tat des Königs, mit der er sich in der Öffentlichkeit auf die Seite der Bürger mit ihrer Forderung nach Einheit Deutschlands unter preußischer Führung gestellt hatte, war also zwei Tage vorher geschehen. Mit ihr hatte er es sich bei sämtlichen in Deutschland regierenden Adligen verscherzt, einschließlich bei seiner eigenen Familie und Umgebung, in der nun drüber geredet wurde, ob er denn noch König bleiben könne, was Kliem in seiner Arbeit auch dokumentierte.

Nun wollte ich die wichtigsten Erkenntnisse von Kliems Forschungen in die Artikel bei Wikipedia schreiben und einen solchen über Eusebius Wedeke verfassen. Da die von Kliem benutzten Archivalien inzwischen nicht mehr in Merseburg liegen, sondern im Preußischen Staats-Archiv in Berlin-Dahlem, beschloss ich, dort die entscheidenden Akten, die Kliem in seiner Arbeit angegeben hat, einzusehen. Ich hatte Ende Juni 2022 die Möglichkeit dazu. Die beiden Akten, die ich erhielt, waren nicht sehr dick. Ich fotografierte mit meinem Handy die mich interessierenden Seiten. Doch nicht alles Gesuchte, war dabei. Ich fragte, ob es noch mehr gäbe, und die Mitarbeiterin fragte mich zurück, was ich denn gesucht habe. Ich sagte:„ Eusebius Wedeke betreffende Akten.“

„Ach, einen Moment,“ sagte sie, „hier bei uns im Computer ist noch mehr, als man über die Internetrecherche findet. Ah, da ist ja so viel.“ Sie druckte mir erst einmal sechs Seiten aus und ich bestellte noch zehn weitere Akten, die ich dann am nächsten Tag einsehen und fotografieren konnte.

Nun habe ich alles, was ich dort fand, soweit ich konnte, entziffert. Dabei zeigte sich mehr und mehr, dass Manfred Kliem sich geirrt hat, wohl auch aufgrund seines sozialistischen Weltbildes, und dass er in seiner Dissertation selber ein Gerücht erfunden hat, was die damalige Politik des Königs erklären sollte: Der Prinz Carl wäre in kriminelle Machenschaften verwickelt gewesen, wovon dieser Wedeke wusste, der wiederum dem Otto Crellinger davon erzählt hätte und ihn zum König geschickt habe, um ihn zu einem Verhalten im Sinne der Bürger zu zwingen und außerdem 30.000 Taler von ihm zu erpressen, mit denen dann die Arbeit der liberal-demokratischen Partei damals finanziert worden wäre.

Ich hatte diese Darstellung auch deshalb geglaubt, weil bei einem Besuch im Schloss des Prinzen Carl an der Glienicker Brücke uns der Führer 1994 erzählte, dass der König Friedrich Wilhelm IV. mal gesagt habe, dass, wenn er nicht in einer königlichen Familie geboren und deshalb König geworden wäre, er Architekt, sein Bruder, der Prinz Wilhelm, der spätere deutsche Kaiser, Major und der Prinz Carl „Knastologe“. - Auch das hatte ich immer erzählt, wenn ich die Gelegenheit hatte, mit jemandem über die 48er Revolution in Berlin zu reden.

 

Dies möchte ich nun richtigstellen.

 

 

Hier im Folgenden nun möchte ich zuerst darstellen:

 

  1. was ich aus der Dissertation von Manfred Kliem in der Zeit der Wende 1889/90 und auch sonst immer mal wieder durch Nachrichten aus aller Welt bestätigt gefunden habe, dann

  2. was ich aus der Beschäftigung mit den Funden im Preußischen Staatsarchiv und anderen Quellen wie der Revolutionschronik von Adolf Wolff, damaligen Zeitungen und anderen Quellen erkannt habe bzw. im Blick auf die 30.000 Taler für Wedeke vermute.

  3. Werde ich dann diese Quellen nach ihrer zeitlichen Abfassung geordnet vorstellen und zitieren, damit sich jeder ein eigenes Urteil bilden kann.

  4. Dann folgt ein Register aller in den unter 3. zitierten Quellen vorkommenden Personen in alphabetischer Reihenfolge und verlinkt, soweit vorhanden, mit Internetartikeln über diese Personen. Zumeist sind es Wikipedia-Artikel.

  5. Schließlich folgt eine Liste, der zu dem Geschehen 1848 jetzt benutzten neueren Literatur. Die von mir während der Abfassung meiner Dissertation B benutzte Literatur samt den Quellen, findet sich bei dieser.

Anmerkungen

1 https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Wilhelm_Hengstenberg

2 Adolff Wolff: Berliner Revolutionschronik, Bd.1-3, Berlin1851-1854

3 Manfred Kliem: Genesis der Führungskräfte der feudal-militaristischen Konterrevolution 1848 in Preußen. Phil. Dissertation A. Humboldt-Universität Berlin 1966

4 Ursula Gustav Kliem: Raus! Raus! Raus! Familiengeschichte dreier verfolgter Generationen. epubli 2021