Der Anruf einer Unbekannten
Liebe Theolgiestudentin aus Güstrow,
Ihr Anruf war für mich ein Ruf des Himmels, nicht aufzugeben. Erinnern Sie sich noch? Sie hatten den kurzen Aufsatz im Publik-Forum über unseren Armutsbericht gelesen, den wir auf dem Kirchentag in Köln dem damaligen Minister für Arbeit und Soziales Franz Müntefehring sowie Katrin Göhring-Eckardt von den Grünen übergaben und auf unserem Stand auf dem Markt der Möglichkeiten ins Gespräch bringen wollten.
Wir hatten interessante Tage dort in Köln und auch die Möglichkeit uns Vorträge und Diskussionen anzuhören, so auch das Podium mit Prof. Götz Werner, dem Chef der dm-Drogeriemarktkette, und Norbert Blüm und anderen. Ich erzählt Ihnen, als Sie mich anriefen, wie sehr ich Werner schätze, aber dass er ja in Karlsruhe wohne und ich mich deshalb nicht an ihn gewandt hätte. Sie aber haben mich ermutigt: Er komme doch öfter nach Berlin und habe ein Institut in Karlsruhe, wo er seit 2005 an der Universität lehrte. An diese Leute solle ich mich mal wenden. Das habe ich dann auch gemacht und wurde von dort weiterverwiesen an die Stiftung „Wertevolle Zukunft“4 in Hamburg.
Wir hatten inzwischen einen „Runden Tisch Marzahn-Hellersdorf gegen Armut und Ausgrenzung für ein bedingungsloses Grundeinkommen“ gegründet, ein monatliches Treffen von Vertretern der Marzahner Parteien, der Gewerkschaften und Gemeindegliedern. Zu diesem Treffen luden wir einen Vertreter des Instituts ein, der uns einen interessanten Vortrag hielt und auch ein Buch zum Thema schenkte. Außerdem bekamen wir nun Einladungen zu Veranstaltungen der Stiftung in Hamburg. Beim ersten Mal konnten wir sie wahrnehmen und fuhren am 3. September 2010 zu viert nach Hamburg und hörten hochinteressante Vorträge in einer Villa in der Nähe der Hafenpromenade.
Einer der Referenten war ein Vertreter des Otto-Versands, zuständig für Ethik. Ihn konnte ich am Ende der Veranstaltung auf das Problem der Endokrine Disruptoren ansprechen, auf die Verseuchung unserer Umwelt mit hormonähnlich wirkenden Stoffen. Davon hatten wir durch einen Vortrag von Prof. Werner Kloas von der Humboldt-Universität erfahren und seitdem einiges unternommen, um auf diese große Gefahr für unsere Gesundheit und Nachkommenschaft hinzuweisen. Ich stellte fest, dass er über alles bestens informiert war. Im Blick auf den persönlichen Einsatz von Kanzlerin Merkel gegen ein Verbot der EU von Bisphenyl A sagte er nur: „Ja, die Lobbyisten!“
Ich erhielt die Erlaubnis, mich mit ihm fotografieren zu lassen und seitdem wird darüber auf der Webseite unseres Fördervereins der Kirchengemeinde „ZusammenLEBEN“ unter dem Button „Leben mit Kindern“ informiert.
Ja, das alles ist aus unserem Telefonat entstanden, liebe arbeitslose Theologiestudentin mit zwei Kindern aus Güstrow. Ohne Sie wäre ich nie auf die Idee gekommen, mich an Götz Werner zu wenden, einfach weil Karlsruhe mir viel zu weit weg erschien.
Bei der großen Aktion 2016 auf der Straße des 17. Junis als die aus der Schweiz stammenden riesen Plane dort ausgerollt und dann vom Hubschrauber aus gefilmt wurde. Da bin ich Götz Werner persönlich begegnet und habe ihm gedankt und kurz von Ihrem Anruf und, was er alles bewirkt hat, erzählt.
Wie klein doch die Welt ist! Und wie unser Herr es fügt, dass Menschen zusammenkommen, die einander brauchen. Wie habe ich mich über all dies gefreut und wie viel Kraft wurde mir dadurch geschenkt, weiter am Thema zu bleiben.
Ich hoffe, dass es auch Ihnen und ihren Kindern in der Folgezeit gut ergangen ist und auch Sie am Thema drangeblieben sind und Sie nicht mehr durch Sorgen um das nötige Geld geplagt werden.
Lieber himmlischer Vater, wie oft haben wir bei all unserem Bemühen, uns in die Gesellschaft einzubringen und dabei zu helfen, Probleme zu lösen, den Eindruck, dass alles vergeblich war und ist. Als ich 2016 Götz Werner auf der Straße des 17. Junis dankte, waren nur wenige Aktive und Interessierte zu sehen. Auch ich hatte nur eine junge Frau aus der Gemeinde gefunden, die mich dorthin begleitete. Götz Werner meinte, es brauche Zeit, bis sich neue Ideenwie die des bedingungslosen Grundeinkommens durchsetzen.
Wie ich gerade mitbekommen habe, ist er 2022 kurz vor seinem 78. Geburtstag verstorben. Herr, ich danke Dir für sein Engagement, dass Du ihm die Kraft dazu geschenkt hast und er viel bewirken konnte. Ich danke Dir, dass ich durch dieses Telefonat mit einer Unbekannten auf ihn aufmerksam wurde. Er war einer der reichsten Deutschen und hätte sich auf dem Erfolg seines Lebens ausruhen können. Für uns als Christen und Kirchen könnte er als Anthroposoph ein Vorbild sein, wenn wir nicht so oft meinen würden, die anderen sollten sich an uns ein Beispiel übernehmen.
Herr, hilf uns doch, dass wir uns mit offenen Augen und Herzen der großen Probleme unserer Zeit annehmen und vorurteilsfrei mit denen austauschen und zusammenarbeiten, die dies aufgrund anderer Überzeugungen tun. Herr, erbarme Dich unser!
Anmerkung:
1. Sie heißt inzwische Stiftung für Wirtschaftsethik: https://www.stiftung-wirtschaftsethik.de/stiftung.html; s.: https://www.abendblatt.de/hamburg/article107550378/Der-Stifter.html, ebd. zu dem Stifter Christian Steinberg