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Die Schriftstellerkonferenz Ost-West1



Lieber Herr Hermlin,

einmal nur habe ich Sie persönlich gesehen. Ich war im 2. Studienjahr Vertrauensstudentin der ESG. Einer von uns fünf im Team hatte bei Ihnen zu Hause Elektrikerarbeiten durchgeführt und Sie gefragt, ob Sie zu einem Gesprächsabend in die ESG kommen würden. Sie haben zugesagt. Das war aus meiner Sicht für einen Schriftsteller der DDR mutig. Ein Satz von Ihnen ist mir im Gedächtnis geblieben. Sie wurden nach dem Kommunismus gefragt, der ja folgen sollte, wenn erst alle Länder sozialistisch geworden wären. Sie sagten: „Oh, dann wird das Leben erst richtig schwierig, wenn wir alle Probleme, die uns jetzt noch beschäftigen, gelöst haben und alle Grundbedürfnisse der Menschen befriedigen können.“

Meine Mutter verehrte Sie und hatte wohl all ihre Bücher gelesen. Einmal, in unserer Anfangszeit in Berlin muss es gewesen sein, ging sie mit mir spazieren und zeigt mir, wo Sie wohnten, - nicht weit weg von uns. Sie erzählte, dass Sie in der Nazizeit mit Erich Honecker zusammen im Gefängnis gesessen, dadurch einen Draht zu ihm hätten3 und den genutzt hätten, zwei jungen Schriftsteller aus der Haft wieder frei zu kommen.

So ging ich in meiner Verzweiflung Mitte Oktober 1981 zu Ihnen, als ich befürchtete, dass mein Mann, der Vater unseres gerade geborenen Sohnes, trotz der kommenden Weihnachtszeit ausgewiesen werden könnte. Ihre Frau war an der Tür und sagte, ich solle mein Anliegen aufschreiben und es in ihren Briefkasten im Zaunpfosten stecken. Das habe ich gemacht und beim Einwurf des Briefes gedacht, der Briefkasten sieht ja aus, wie „Stasi bedien' dich. Ich habe keine Geheimnisse.“ Er war leicht zu öffnen.

Zwei Tage später riefen Sie mich an und sagten, dass Sie in den nächsten Tagen ein Gespräch mit einer wichtigen Persönlichkeit hätten und meine Sache vorbringen würden. Kurz darauf erfuhr ich in den Nachrichten, dass Sie die erste deutsch-deutsche Schriftstellerdkonferenz mitorganisiert hatten. Im Februar bekam ich einen Brief, persönlich unterzeichnet von Kurt Hager, in dem stand, dass mein Verlobter in der DDR bleiben könne. Dieser Brief öffnete uns Türen. Mein Mann bekam nicht nur eine Aufenthaltsgenehmigung, sondern auch eine Wohnung.

Als ich im Januar 1998 beim Einblick in meine Stasi-Akten das Ausweisungsdatum fand: 15.Januar 1982, besuchten mein Mann und ich Sie an jenem Tag, also 16 Jahre später, um Ihnen noch einmal zu danken. Ihre Frau nahm uns in Empfang, da es Ihnen nicht gut ging.

Sie haben dann nicht mehr lange gelebt. Am 6. April starben Sie. Eine große Überraschung bereitete mir das Ehepaar Skupin, das über unsere Liebesheirat in einem Feature unter dem Titel „Hoffnung“ 1999 im Rahmen der ARD-Sendereihe „Gott und die Welt“ berichtete. Der Film begann mit einem Interview mit Ihrer Frau. Sie erzählte, dass sie sich noch sehr genau an mich erinnern konnte, wie ich 1981 vor ihrer Tür stand und um Hilfe bat und gesagt hatte, dass es sehr ernst sei.

Was der Film nicht mehr zeigt, war mein Schlusssatz, als wir als Familie um den Tisch saßen. Ich erzählte, dass mein Mann auf den Aktenordner, in dem wir all die Schriftstücke unseres Kampfes aufbewahrten, geschrieben hatte: „Glück ist ein harter Kampf“, dass ich den Erfolg unseres Kampfes aber als das Wirken Gottes erlebt habe. ER hatte die Ereignisse so gelegt, dass sie zusammentrafen:

- die erste gesamtdeutsche Schriftstellerkonferenz, von der ich damals nichts wusste, noch davon etwas ahnte, dass Sie daran maßgeblich beteiligt waren,

- und unsere Angst vor der Abschiebung meines Mannes am Ende noch zu den Feiertagen, wenn niemand damit rechnen würde.

Ein Jahr lang nach dem Ende unseres Studiums war uns nichts passiert. Aufgrund einer Krankenhausbehandlung meines Mannes im ersten Studienjahr infolge seiner Malariaerkrankung in der Heimat, war seine Aufenthaltsgenehmigung um zwei Jahre verlängert worden und reichte damit ein Jahr über den Studiumabschluss hinaus. Die Botschaft hatte verlangt, dass er nach Vietnam zurückkehre, aber er hatte erst eine Antwort auf seinen Heiratsantrag abwarten wollen, der auch beinhaltete, dass wir beide nach Vietnam gehen, dort leben und arbeiten. Diese Antwort aber blieb aus.

Doch als ich gerade aus dem Krankenhaus entlassen, mit unserem Jungen im Kinderwagen bei schönstem Sommerwetter mit ihm im Garten vor dem Haus mich erholte, kam die Polizei zu uns nach Hause und brachte eine Vorladung für meinen Mann in die Zentrale Meldestelle in der Keibelstraße, in der Nähe des Alexanderplatzes, wo sich auch ein Untersuchungsgefängnis befand. Von da an hatte er mal keine, mal nur für zwei Wochen, mal für vier Wochen eine Aufenthaltsgenehmigung. Die Einzelheiten unseres Kampfes zu schildern, führt hier zu weit. Bei einem Gespräch zusammen mit meinen Eltern beim Botschafter Vietnams erklärte ich noch einmal meine Bereitschaft, mit nach Vietnam zu gehen. Doch es hieß, die Lebensverhältnisse in Vietnam seien für Europäer nicht geeignet.

Aber all das zeigt doch, welch ein Wunder es war und was der HERR alles in Bewegung setzte, damit wir zwei, die Null-Chancen hatten, ein Paar zu werden, beieinander bleiben konnten.

Dabei waren Sie, Herr Hermlin der entscheidende Abschluss. Sie haben für mich als unbekannte Theologiestudentin nur aufgrund eines kurzen Briefes diesen Fall vorgebracht - und Kurt Hager, der als für die Ideologie Zuständige im Politbüro als ein ganz Scharfer galt, er muss sich damals persönlich für uns eingesetzt haben. Ist das nicht auch ein Wunder? Sicher, sie werden sich erst mit unserem Fall beschäftigt haben. Das war der Formulierung des Briefes anzusehen. Aber die Sache wurde positiv beschieden. Nun sind wir beide schon mehr als 46 Jahre ein Paar und dankbar für unsere drei Kinder und fünf Enkelkinder. Auch das wird Sie freuen.

Den Kommunismus haben Sie nicht mehr erlebt, aber noch den Zusammenbruch der DDR und des osteuropäischen Sozialismus. Ich bin sicher, dass Sie, der Sie als Kommunist offen waren mit uns Christen zu reden, nun den Himmel nicht so erleben, wie Sie es vom Kommunismus erwarteten, also nicht als kompliziert, sondern als ein einfaches Leben, weil in Liebe ohne Eifersucht.

 


Allmächtiger Gott, Du kannst alles wenden, aus Bösem Gutes werden lassen, dass aus Feinden Freunde werden, aus Menschen, die sich gegenseitig ignorieren einander Helfende.

Du hast ein solch großes Wunder in meinem Leben Gestalt werden lassen. Heute können es die Jüngeren kaum noch erfassen. Man muss es selbst erlebt haben. Wie viele solche Wunder sind noch von Dir, HERR, gewirkt worden, die wir nicht mehr verstehen können? Hilf uns, mit Dir zu rechnen, dem Weg der Liebe zu folgen und treu zu bleiben auch da, wo alles dagegen spricht.

 

 

Anmerkungen:

 

1https://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Begegnung_zur_Friedensf%C3%B6rderung - "Die Berliner Begegnung zur Friedensförderung fand am 13. und 14. Dezember 1981 in Ost-Berlin ...Am 7. Dezember gab es ein Gespräch der Politbüro-Mitglieder Kurt Hager und Hermann Axen mit den DDR-Teilnehmern, in dem diesen vorgegeben wurde, wie sie dort auftreten sollten."

3 Diesen gemeinsamen Gefängnisaufenthalt gab es nicht. Von der jüdischen Herkunft Hermlins wusste meine Mutter offensichtlich nichts, sonst wäre ihr es wichtig gewesen, mir zu erzählen.(https://de.wikipedia.org/wiki/Stephan_Hermlin)