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1872


 

Berliner Fremden- und Anzeige-Blatt, Nr. 27 vom 2. Februar 1872, S. 4

Überschrift in der Spalte: Gerichtszeitung (GStA PK HA Rep 100, Nr. 813)



In Folge einer grandiosen Übertreibung der „Daubitz'schen1 Staatsbürger-Zeitung“ 2glaubt Berlin seit etwa zwei Monaten einem Monster-Skandalprozess entgegen sehen zu dürfen, denn die meisten Tagesjournale hatten auf Grund einer abdrucksweise aufgenommenen Sensationsnachricht die wichtigsten Enthüllungen aus den höchsten Regionen bei Gelegenheit jenes Prozesses in Aussicht gestellt. Und wie ärmlich gestaltete sich die Wirklichkeit gegenüber dem Traumleben des Prozesserfinders. Nur die Person, welche heut vor den Geschworenen erscheint, kann insofern Interesse abgewinnen, als sie der Descendent des einst berüchtigten und viel vermögenden Staatsrats3 Wedecke-Hermsdorf ist; doch hören wir nicht in der ganzen Audienz über letzteren; seine geheimnisvollen Fahrten deckt der Tod; und was den Herrn Sohn betrifft, so fällt ihm nur eine kleine Urkundenfälschung zur Last, welche er offen und frei einräumt, -

Am 22. August pr.4 war nämlich der Angeklagte zu dem ihm bekannten hiesigen Kaufmann Lubczynski gegangen, um ihm mitzuteilen, dass ihm sein Onkel v. Eichmann5 in Dresden, eine Stelle im Elsass verschafft, und ihm zu seiner Equierierung die Summe von 250 Thlr. An die Präfekturkasse in Straßburg ausgezahlt werden solle, dass er aber nicht die Absicht habe, die ihm offerierte Stellung anzunehmen, sondern gedenke, die folgendermaßen lautende und mit dem Gesandtschaftssiegel versehende Anweisung zu verkaufen:

“An den Herrn Präfekt von Straßburg (Nieder-Rhein) Ober-Regierungs-Rat von Ernsthausen. Die von unserer Botschaftskasse am 12. Juni übersandten 250 Thlr. Preuß. Court. Werden an Überbringer dieses Hrn. Eusebius v. Wedecke-Hermsdorf6 ausgezahlt. Dresden, den 18. August 1871. Für den Gesandten v. Eichmann, Exzellenz., der Königl. Kanzlei-Vorsteher Prem. Lt. v. Wuchert.“

Lubczynski hielt dieses Skriptum für echt, erklärte jedoch, nur unter der Bedingung, dass er 20 Thlr. Profitiere, auf das Gesuch eingehen zu können, worin der Angeklagte auch willigte. Er empfing demnach unter Abrechnung einiger kleiner von früher datierender Forderungen von L. 12 Thlr. Bar und einen Depotschein über 200 Thlr., zahlbar nach Eingang der Valuta, worauf er die Zahlungsorder selbst an L. cedierte. L. cedierte dieselbe später an den Spediteur Henze und von diesem gelangte sie an den Spediteur Hummel in Straßburg, welcher, als er mit ihr Behufs Einlösung auf der Präfektur erschien, erfuhr, dass dort von der Sache nichts bekannt sei. In Folge dessen wegen Urkundenfälschung angeklagt, wurde Wedecke nach Ablegung eines qualifizierten Geständnisses ohne Zuziehung der Geschworenen unter Annahme mildernder Umstände zu 9 Monaten Gefängnis und einjähriger Interdiktion verurteilt. Zuchthausstrafe hätte ihm gedroht, würde seitens des Gerichtshofes angenommen worden sein, dass die mit dem Siegel eines ehedem an den Angeklagten gelangten Briefes der Dresdener Gesandtschaft beklebte Urkunde im Sinne des Gesetzes als öffentliche aufzufassen sei. Diese Ansicht gewann jedoch nicht Platz, da das Schriftstück nur von einem Kanzleivorsteher unterzeichnet war, während es Behufs seiner Gültigkeit der Subsignierung durch den „Gasendschafts-Sekretär“ bedurft hätte.

 

 

1 s. Daubitz in der Lausitz/ Ost-Sachsen: https://www.sachsen-lausitz.de/rietschen/daubitz.html

2 Unterstreichungen markieren hier die hervorgehobenen Worte des Textes.

3 Bekanntlich war Wedeke nur Hofrat gewesen.

4 = vorigen Jahres

5 Ab 1867 in Dresden, 1873 in Konstantinopel

6 1838 geboren, war der Sohn Eusebius Wedeke dann also zwischen 33 und 34 Jahre alt.

 

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 (GStA PK HA Rep 100, Nr. 813)

Zeitung vom 1. Dezember 1871: 2. Beilage zur Königlich privilegierten Berlinischen Zeitung, Nr. 288, Freitag. 1. Dezember 1871 S.4:

 

 

„Die 'Db. Stb.-Z.' macht mysteriöse Andeutungen von einer demnächst in de Öffentlichkeit tretenden causa célèbre. Danach wird ein Baron Wedeke-Hermsdorf beschuldigt, eine bedeutende, für die Verwaltung von Elsass-Lothringen bestimmte Summe in höchst wunderbarer Weise an sich gebracht zu haben. Der preußische Gesandte1 an einem befreundeten Hofe sein in diese Sache verwickelt; seine und des ganzen Gesandschaftspersonals gerichtliche Vernehmung sei bereits erfolgt, und aller Wahrscheinlichkeit werde der Gesandte von den hiesigen Assisen2 sein Zeugnis abgeben müssen.“

 

 

1Unterstrichene Worte sind im Text hervorgehoben. Mit dem preußischen Gesandten dürfte Eichhorn als Onkel des Eusebius Wedeke jun. am Hof in Dresden gemeint sein.

2 S: https://de.wikipedia.org/wiki/Assisen – gemeint sind die Geschworenen